Aufgrund des Corona-bedingten Entfalls der Diagonale ist die heurige Viennale auch eine wichtige Plattform für österreichische Filme. Während Sandra Wollner ihren verstörenden Science-Fiction-Film "The Trouble With Being Born" präsentierte, zeichnen Tizza Covi und Rainer Frimmel in ihrem Dokumentarfilm "Aufzeichnungen aus der Unterwelt" ein Bild der Wiener Ganovenwelt der 1960er Jahre und Hubert Sauper begab sich für "Epicentro" nach Kuba.
Auf randständige Milieus fokussieren Tizza Covi und Rainer Frimmel seit Beginn ihrer Karriere. In ihrem Dokumentarfilm "Babooska" (2005) porträtierten sie einen Wanderzirkus, auch ihr erster Spielfilm "La Pivellina" (2009) spielte im Milieu eines Kleinzirkus und ein Schausteller stand im Mittelpunkt von "Mister Universo" (2016). Waren die Geschichten fiktiv, so verlieh ihnen die Inszenierung immer einen stark dokumentarischen Anstrich.
In "Aufzeichnungen aus der Unterwelt" überlassen sie nun völlig ihren Protagonisten den filmischen Raum. In langen halbnahen statischen Einstellungen lassen sie in diesem auf 16-mm gedrehten Schwarzweißfilm den legendären Wienerlied-Sänger Kurt Girk und Alois Schmutzer über ihre Wahrnehmung der Wiener Ganovenwelt der 1960er Jahre erzählen und bieten dabei auch Einblick in einen Justizskandal, denn zu Unrecht wurden Girk und Schmutzer verurteilt, und in unglaubliche Zustände in den Gefängnissen.
Ganz von den beiden großartigen Erzählern, die nur selten von Frimmel aus dem Off mit einer Nachfrage zur detaillierten Darstellung bestimmter Ereignisse aufgefordert werden, lebt der Film. In jeder Szene spürt man das Vertrauen, das zwischen den Filmemachern und den Protagonisten besteht, und der empathische Blick sorgt dafür, dass einem diese rasch ans Herz wachsen.
Doch nicht nur ein Porträt von Girk und Schmutzer wird hier gezeichnet und diese am Rand der Gesellschaft stehenden Männer ins Zentrum gerückt, sondern auch mittels klassischer Oral History aus einer der medialen Berichterstattung entgegengesetzten Perspektive ein Milieu und eine Zeit geschildert und vor dem Vergessen bewahrt.
Im Gegensatz zu dieser bestechenden Fokussierung holt Hubert Sauper in "Epicentro" weit aus. In einem furiosen Beginn verschmelzt der gebürtige Kitzbühler mit Voice-over die Explosion der USS Maine, die 1898 den spanisch-amerikanischen Krieg auslöste, mit der fast gleichzeitigen Erfindung des Kinos, das sogleich auch zu propagandistischen Zwecken genutzt wurde. Gesteigert wird die Dynamik und Wucht dieses Auftakts durch Bilder von dem mächtig gegen den Malecón brandenden Atlantik, die zusätzlich von Opernmusik pathetisch überhöht werden.
Die hier aufgebaute Erwartung einer Reflexion über kubanische Geschichte, Imperialismus und die Macht des Kinos wird in der Folge aber nicht entscheidend weitergetrieben. Vielmehr beschränkt sich "Epicentro" doch auf eine Abfolge von Einblicken in die kubanische Realität mit den schon oft gefilmten zerbröckelnden Hausfassaden, desolaten Wohnungen und einer stillgelegten Zuckerraffinerie.
Wenn dazwischen Erinnerungen an Fidel Castro und die Trauer anlässlich seines Todes sowie Szenen mit Touristen, die fröhlich Havanna besichtigen, und Bilder eines Luxushotels, zu dem Einheimische keinen Zugang haben, eingestreut waren, verliert "Epicentro" gerade sein Zentrum. So vielfältig, wenn auch teilweise altbekannt, die Eindrücke auch sind, so fehlt es diesem Essayfilm in seinem Mäandern letztlich doch an Stringenz und Konsistenz.
Mit der Empfehlung des Spezialpreises der Jury in der Sektion "Encounters" der Berlinale und des Großen Diagonale-Preises kam Sandra Wollners zweiter Langfilm "The Trouble With Being Born" zur Viennale. Von den ersten Bildern an löst diese Geschichte um die etwa 10-jährige Elli, die kein Mensch, sondern ein Androide ist, Verstörung aus. Nur langsam bekommt man Einblick in ihre Beziehung zu dem Mann, den sie Vater nennt und der sie offensichtlich als Ersatz für die verschwundene reale Tochter programmieren ließ.
Den Verlust hat er damit nicht nur kompensiert, sondern er benützt diese Elli auch nach Lust und Laune, die aber auch wiederum ganz im Stile einer Lolita als willenloses Wesen mitzuspielen scheint, bis sie eines Tages im Wald verschwindet und bald in eine zweite Geschichte um Verlust, Schuld und Begehren eingebunden wird.
Teils geisterhaft und teils märchenhaft wirkt "The Trouble With Being Born", den Sandra Wollner selbst als "Anti-Pinocchio" sieht, in dem nicht eine Puppe zum Menschen wird, sondern ein Mensch durch eine Puppe ersetzt wird. Ungleich abgründiger und verstörender als Carlo Collodis Kinderbuchklassiker ist aber dieser Film.
Idyllisch mag auf den ersten Blick das im Wald gelegene moderne Haus wirken, doch rasch schleicht sich hier Beunruhigung ein. Mit kühlen Bildern und starkem Sounddesign evoziert Wollner eine beklemmende Atmosphäre und schafft auch mit dem Gegensatz von Wald in der ersten Hälfte und tristem Autobahnstreifen und Hochhaussiedlung mit dunstverhangenem Himmel in der zweiten Hälfte einen starken Gegensatz. Gleichzeitig baut die 1983 in Leoben geborene Regisseurin mit bruchstückhafter Erzählweise zahlreiche Rätsel auf, die der Zuschauer erst langsam oder auch erst nach Filmende in der Erinnerung zumindest teilweise lösen und somit eine schlüssige Geschichte rekonstruieren kann. – Ein zweites Sehen lohnt sich hier auf jeden Fall.
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