Die Katalanin Neus Ballús begleitet drei Handwerker eine Woche bei ihrer Arbeit.- Ein unspektakulärer Film, der in seinem genauen Blick auf die Beziehung der beiden Protagonisten und die Haushalte, in die sie kommen, aber viel Witz entwickelt.
Wie mit der versteckten Kamera gefilmt, wirkt die erste Szene, wenn Neus Ballús aus der Distanz, die durch einen Türrahmen betont wird, in einer langen ruhigen Einstellung die Installateure Valero (Valero Escolar) und Pep (Pep Sarrá) bei der Reparatur eines Waschbeckens in einem Bad filmt. Schon hier kommt Komik auf, wenn Valero sich im Gegensatz zum älteren Pepe nicht nur um seinen Job kümmert, sondern auch an einem Duschgel riecht oder eine Massagebürste studiert.
Diese Beobachterposition der Kamera findet sich immer wieder. Sie korrespondiert nicht nur mit einer Erzählung des marokkanischstämmigen Mohamed (Mohamed Mellali), der im Voice-over erklärt, dass er schon als Junge von seiner Wohnung aus gerne Nachbarn beobachtet habe, sondern auch mit dem Beruf des Handwerkers, der als Türöffner immer wieder intime Einblicke in Haushalte bietet.
Keine spektakuläre Handlung entwickelt die 42-jährige Regisseurin, deren Vater selbst Installateur war, sondern sie beschränkt sich darauf, die Handwerker eine Woche lang bei ihrer Arbeit zu begleiten. Inserts mit den Wochentagen von Montag bis Samstag gliedern so den Film.
Dazu kommt aber, dass in der kleinen Firma Haushaltstechnik Losaille ein Umbruch ansteht, denn der alte Pepe möchte in Pension gehen und ein neuer Installateur wird gesucht. So wird Mohamed auf Probe eingestellt, doch Valero macht aus seiner Ablehnung gegenüber dem jungen Mann von Anfang an kein Hehl. Er bezweifelt, dass die katalanische Bevölkerung einen marokkanischen Handwerker akzeptieren wird, kritisiert seine mangelnden Sprachkenntnisse und nörgelt ständig an ihm herum.
Mohamed, der auch in der Unterkunft von seinen Mitbewohnern gemobbt wird, weil er einen Sprachkurs besucht und sich auf eine Prüfung in Katalanisch vorbereitet, nimmt alles geduldig hin, bleibt höflich und zurückhaltend.
Wunderbar natürlich und trocken spielen die Laien Valero Escolar und Mohamed Mellali, bei denen die Deckung der realen Namen mit den Filmnamen auch Realität und Fiktion verschwimmen lässt, dieses ungleiche Duo. Nicht viel muss Ballús dabei machen, braucht keine spektakulären Kamerabewegungen oder dynamischen Schnitte, sondern kann ihren Protagonisten den Raum überlassen und sich darauf beschränken, in quasidokumentarischem Gestus ihnen bei der Arbeit und der Interaktion zuzuschauen.
Dazu kommen aber noch die unterschiedlichen Haushalte, in die die beiden Installateure ihre Arbeit führt. Da gibt es einen kauzigen Alten, der Spinat preist und Einblick in seine Fitnessübungen bietet, zwei Zwillingsmädchen, die scheinbar immer wieder den Strom einschalten und so Valero und Mohamed bei der Arbeit stören und sie schließlich auf dem Balkon aussperren oder ein Fotostudio.
In letzterem wird Mohamed von der Chefin nicht nur aufgefordert, beim Umbau des Sets zu helfen, sondern schließlich auch zu einem Fotoshooting herangezogen, bei dem er mit nacktem Oberkörper und Bohrer über der Schulter posiert.
An die Filme Jacques Tatis erinnert schließlich, wenn die Installateure in einer modernen Villa mit den Tücken der modernen Technik konfrontiert werden. Sind sie zuerst ausgesperrt durch das mächtige Metalltor, so spielt bald die Sprinkleranlage, dann das Beschattungssystem und schließlich auch der Staubsaugerroboter verrückt, während der Hausherr eine psychotherapeutische Sitzung mit Valero und Mohamed beginnt und die Spannungen zwischen ihnen thematisiert.
Doch so sehr Valero seinen Kollegen von Anfang an ablehnt und mobbt, so scheint doch schließlich etwas in ihm in Bewegung zu kommen und sich ein Schuldgefühl für sein Verhalten zu entwickeln. Trotz seiner Vorurteile, trotz seines Alltagsrassismus scheint er nicht nur zu erkennen, dass es allein nicht geht und ein miteinander unumgänglich ist, um die Arbeit erfolgreich zu bewältigen, sondern auch, dass ihm ohne Mohamed etwas oder jemand fehlt. So erzählt Ballus auch von einer Bewegung vom Individualismus zu so etwas wie Freundschaft.
Ein echtes Kleinod ist dieser Film: so unscheinbar nach außen, dass man ihn leicht übersehen kann und doch so reich und hinreißend im genauen Blick auf die beiden Protagonisten, die beim Filmfestival von Locarno als beste Schauspieler ausgezeichnet wurden, und den Einblicken in Haushalte, dass man immer wieder schmunzeln muss.
Gleichzeitig weitet sich diese sanfte Komödie, wenn die Bewohner*innen der einzelnen Auftragsorte ebenso isoliert bleiben wie die beiden Handwerker, die am Abend jeweils in ihre Welt zurückkehren, zu einer melancholischen Studie über die Einsamkeit und Isolation in Zeiten der virtuellen digitalen Vernetzung. Weil dies nie aufdringlich thematisiert wird, sondern ganz leicht und selbstverständlich in diese entwaffnend einfache Alltagskomödie einfließt, beglücken die allzu menschlichen kleinen Porträts und gehen nahe, lassen in ihrer Leichtigkeit aber auch wie beseelt aus dem Kino schweben.
6 días en Barcelona (Sis dies corrents) – Sechs Tage unter Strom Spanien 2021 Regie: Neus Ballús mit: Mohamed Mellali, Valero Escolar, Pep Sarrà, Paqui Becerra, Pere Codorniu, Aina Rue Puigoriol
Länge: 85 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen im Feldkircher Kino Rio und am Donnerstag, den 2.6. im Filmforum Bregenz / Metrokino Bregenz.
Trailer zu "6 días en Barcelona (Sis dies corrents) – Sechs Tage unter Strom"
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