Thomas Haemmerli zeichnet in "Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini" nicht nur das Leben des Schweizer Immobilienkönigs und fanatischen Sammlers nach, sondern vermittelt gleichzeitig ein Bild Schweizer Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts. Corina Gamma verknüpft dagegen in "Der Eismann" das Porträt des Glaziologen Konrad "Koni" Steffen mit der Schilderung der Auswirkungen des Klimawandels auf die Arktis.
2007 hat sich Thomas Haemmerli in seinem Dokumentarfilm "Sieben Mulden und eine Leiche", ausgehend vom Tod seiner Mutter, mit dem Messie-Syndrom auseinandergesetzt. Diesem Thema ist der Zürcher mit "Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini" in gewissem Sinne treu geblieben, denn auch der Schweizer Immobilienkönig war mit seiner ungebremste, planlosen Sammellust und den daraus resultierenden unübersichtlichen Beständen einem Messie nicht unähnlich.
Während die Kamera in einem Keller über einen kleinen Teil dieses Bestands gleitet, versuchen Menschen in Schutzanzügen diesen Nachlass des 2018 verstorbenen Bruno Stefanini aufzuarbeiten. Später wird man freilich erfahren, dass Stefanini bei weitem nicht nur Kunstwerke, sondern auch zahllose Zeitungsberichte, Utensilien der österreichischen Kaiserin "Sissy" und des Schweizer Generals Guisan bis hin zu russischen Panzern sammelte.
Ausgehend von diesem Blick in den Keller, zeichnet Haemmerli mit einem Off-Erzähler, Familienfotos und Filmaufnahmen sowie mit Interviews mit Angehörigen, Mitarbeiter:innen und Kunsthistoriker:innen weitgehend chronologisch Stefaninis Leben nach.
Fast zwangsläufig wird dabei auch ein Bild Schweizer Sozialgeschichte vermittelt, wenn es der 1924 geborene Stefanini in seiner Kindheit als Sohn schweizerisch-italienischer Eltern nicht immer leicht hatte oder wenn die unterschiedlichen Positionen zu Hitler-Deutschland während des Zweiten Weltkriegs thematisiert werden.
Das Bild eines leutseligen und eloquenten Mannes, der gerne feierte und die Frauen liebte, zeichnet Haemmerli ebenso wie das des gewieften Immobiliengurus, der durch effizienten und billigen Wohnbau um 1960 sich ein Vermögen erwarb. Gefragt waren diese günstigen Wohnungen, gleichzeitig sparte Stefanini nicht nur beim Bau, sondern verzichtete auch auf jegliche Sanierung und ließ die Wohnblöcke teilweise so verkommen, dass die Behörden eingreifen mussten.
Bruchlos fließt der Erwerb dieses Vermögens mit der Sammlerleidenschaft zusammen, deren Wurzeln Haemmerli schon in der Kindheit ausfindig macht. Mit Witz blickt er auf dieses Engagement des Millionärs, wenn dieser zwar auch hochwertige Kunst erwarb, aber gleichzeitig auch Plunder aus dem Nachlass anderer und Unmengen kurioser Gegenstände.
Übervoll an Informationen ist dieser Dokumentarfilm in seiner dicht gedrängten Erzählweise. Nicht unähnlich dem Porträtierten ist dabei die Arbeitsweise Hämmerlis, der eine enorme Menge an Archivmaterial sichtete und diese – im Gegensatz freilich zu Stefaninis Umgang mit seinen Sammlerstücken – in eine schlüssige Form brachte, mit seiner Überfülle aber die Zuschauer:innen auch fast erschlägt.
So werden viele der Informationen rasch verfliegen, ein vielschichtiges Bild dieser schillernden Persönlichkeit und ein eindrückliches Bild der sozialen Entwicklung der Schweiz im 20. Jahrhundert wird aber dennoch vermittelt.
Wird "Bruno Stefanini" vom Off-Erzähler und Archivmaterial dominiert wird, so setzt Corina Gamma bei "Der Eismann" in erster Linie auf Interviews und eigene Bilder der endlos weiten Schneelandschaft Grönlands. Diese ist in ihrem Film neben dem Glaziologen Konrad Steffen der zweite Hauptdarsteller.
Zwar bietet auch Gamma mit Familienfotos Einblick in die Kindheit und Jugend Steffens, doch der Fokus liegt auf seiner wissenschaftlichen Arbeit, mit der der gebürtige Zürcher zu einem Wegbereiter der Klimaforschung wurde.
Zentraler Schauplatz ist so das Swiss Camp auf Grönland, das Steffens Hauptarbeitsplatz war. Mitarbeiter, aber auch sein Sohn berichten eindrücklich von seiner Leidenschaft für die Forschung, während seine Schwester und sein Freund von Kindheits- und Jugenderlebnissen erzählen.
Unweigerlich kommt freilich mit der Forschung im Eis auch der Rückgang desselben ins Spiel und das Porträt dieses hünenhaften und bärtigen Manns, der im August 2020 im Eis Grönlands verscholl, weitet sich zur bedrückenden Bestandsaufnahme der Auswirkungen des Klimawandels auf die Arktis und die Alpen.
Redundanzen fehlen zwar nicht und insgesamt ist "Der Eismann" im weitgehend unkritischen Blick mehr Hommage an den Verstorbenen als sachliches Porträt, dennoch fasziniert dieser Einblick in ein Forscherleben und die Bilder von mächtigen Bächen, die sich durchs Eis schlängeln und in tiefe Höhlen stürzen oder des Rhonegletschers, dessen Abschmelzung im Sommer durch Tücher eingedämmt werden soll, bleiben haften.
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