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AutorenbildWalter Gasperi

60. Viennale: Die Freiheit der Anderen


Sarah Polley erzählt in "Women Talking" von weiblicher Selbstermächtigung in einer patriarchalen mennonitischen Kolonie. Während sich diese Frauen der Gewalt der Männer entziehen wollen, löst sich in Martin McDonaghs Tragikomödie "The Banshees of Inisherin" ein alter Ire aus einer langjährigen Freundschaft.


Seit ihrem Dokumentarfilm "Stories We Tell" im Jahr 2012 hat Sarah Polley keinen Film mehr gedreht. Eine Gehirnerschütterung und sich daran anschließende Konzentrationsprobleme machten ihr das Arbeiten unmöglich. Nun meldet sie sich mit der Verfilmung von Miriam Toews 2018 erschienenem Bestseller "Women Talking" zurück. Frances McDormand hatte sich die Filmrechte gesichert, fungiert als Produzentin und spielt auch eine Nebenrolle.


Das Voice-over von Ona (Rooney Mara), die die Geschichte ihrem ungeborenen Kind erzählt, informiert zum Bild einer mit blauen Flecken schwer malträtiert im Bett liegenden Frau, dass die Frauen der mennonitischen Kolonie über Jahre von den Männern misshandelt und vergewaltigt wurden. Nun wollen sie das aber nicht länger hinnehmen. Bei einer Abstimmung über das weitere Vorgehen erhielten die Option die Kolonie zu verlassen und die Alternative gegen die Männer zu kämpfen in etwa gleich viel Stimmen.


In einer Sitzung in einer Scheune sollen nun acht Vertreterinnen die Pros und Contras ausloten und eine Entscheidung fällen. Ein Lehrer, dessen Mutter einst aus der Kolonie vertrieben wurde, soll die Ergebnisse protokollieren, denn die Frauen selbst können nicht schreiben. Bildung ist den Männern vorbehalten.


Fast ausschließlich in der Scheune spielt der Film und Polley lässt in dichter Diskussion ihr herausragendes Ensemble die unterschiedlichen Argumente vorbringen. Freiheit und Sicherheit werden als zentrale Ziele herausgestrichen, Verlust der Heimat als Preis dafür wird ebenso angesprochen wie die Frage, ob man die Männer denn später nachholen könne und bis zu welchem Alter die in dieser patriarchalen Welt sozialisierten Söhne mitgenommen werden sollen.


Trotz der Beschränkung auf die Scheune und eine Nacht als Handlungszeitraum stellt sich nie der Eindruck von Theatralik ein. Wesentlich unterstützt wird dieser filmische Eindruck durch die desaturierten, fast auf Grautöne und Schwarzweiß reduzierten Farben. Nichts soll hier den Blick vom Wesentlichen – den Gesichtern und Diskussionen der Frauen – ablenken. – So historisch "Women Talking", der im Kern auf einem historischen Fall in einer mennonitischen Gemeinde in Bolivien beruht, mit dem bäuerlichen Ambiente und Pferdewagen wirkt, so aktuell und packend ist er in seinem Kampf der Frauen gegen die Herrschaft der Männer und für Selbstbestimmung.


Ungleich kleiner ist da auf den ersten Blick der Ansatz von Martin McDonaghs lakonischer Tragikomödie "The Banshees of Inisherin". Fünf Jahre nach seinem US-Erfolg "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" ist McDonagh in seine Heimat zurückgekehrt und hat ein eigenes nie publiziertes Theaterstück überarbeitet.


Situiert ist die Handlung im Jahr 1923. Während in Irland der Bürgerkrieg tobt, ist auf der der Westküste vorgelagerten fiktiven kleinen Insel Inisherin von den Kämpfen nur hin und wieder der Kanonendonner zu hören. Ruhig verläuft das Leben, bis der alternde Colm (Brendan Gleeson) sich eines Tages die Freiheit nimmt, seinem langjährigen Freund Padraic (Colin Farrell) aus heiterem Himmel zu erklären, dass er nichts mehr mit ihm zu tun haben will.


Vor den Kopf gestoßen ist Padraic, grübelt zunächst über die Gründe, hält es dann für einen Scherz, will aber den Kontakt auch dann nicht abbrechen lassen, als Colm bei seiner Entscheidung beharrt. Sukzessive führt so Padraics stures Beharren auf der Freundschaft zu einer Eskalation der Ereignisse, bei der auch drastische Momente nicht fehlen.


Meisterhaft aufgebaut ist das Drehbuch, das nach komödiantischem Beginn immer ernstere Töne anschlägt, und vorzüglich ist die Geschichte auf der ebenso malerischen wie rauen Insel verankert. Dazu kommen pointierte Dialoge, in denen sich durch geschickte Wiederholungen Witz entwickelt, und markante Nebenfiguren vom Pub-Besitzer über einen Priester bis zur neugierigen Gemischtwarenhändlerin und einem brutalen Polizisten.


Getragen wird der Film aber von den großartigen Hauptdarstellern Brendan Gleeson und Colin Farrell, die sich hier die Bälle trocken zuspielen können. Ein wunderbarer Gegensatz bieten der grüblerische Colm, der endlich mit einem Musikstück etwas für die Nachwelt hinterlassen will, und der etwas einfältige Padraic, der nicht ganz zu unrecht überlegt, ob er ein Langweiler, ein Dummkopf oder auch ein Jammerlappen ist, und nicht locker lassen und die Entscheidung Holms einfach nicht akzeptieren will. Mit dem irischen Bürgerkrieg als Hintergrund weitet sich so "The Banshees of Inisherin" vom privaten zu einem politischen Film, der ganz allgemein auffordert Entscheidungen anderer zu akzeptieren und nicht mit allen Mitteln zu versuchen seinen eigenen Willen und seine Position durchzusetzen. Weitere Viennale-Artikel: - Vorschau - Ruth Beckermanns "Mutzenbacher" und Alain Giraudies "Viens je t´emmène" - Lukas Dhonts "Close" und Andrea Pallaoros "Monica"

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