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AutorenbildWalter Gasperi

60. Viennale: Nähe und Zurückweisung

Aktualisiert: 3. Nov. 2022


Während der Belgier Lukas Dhont in "Close" mit größtem Feingefühl von der Freundschaft zweier zwölfjähriger Buben erzählt, lässt der Italiener Andrea Pallaora in "Monica" eine Frau nach Jahren der Kontaktlosigkeit zu ihrer todkranken Mutter zurückkehren.


Schon Lukas Dhonts Debüt "Girl" bestach durch das große Feingefühl aus und die vielschichtige Auslotung der Psyche eines 15-Jährigen, der sich als Mädchen fühlt und vor einer geschlechtsangleichenden Operation steht. Im Zentrum von "Close" stehen nun die beiden Zwölfjährigen Léo (Eden Dambrine) und Rémi (Gustav De Waele).


Vom ersten Bild an sind die beiden Buben fast immer gemeinsam im Bild, wenn sie über die Felder rennen, sich mit ihren Fahrrädern ein Wettrennen liefern oder nebeneinander im Bett liegen. Ganz selbstverständlich schläft der eine immer wieder mal beim anderen. Auch die leuchtenden Sommerfarben und das warme gelbliche Licht vermitteln die Unbeschwertheit und das Glück dieser Freundschaft.


Sie freuen sich auch, als sie auf der Mittelschule in die gleiche Klasse kommen. Ganz unbefangen fragt dann aber bald ein Mädchen, ob sie nicht nur beste Freunde sondern ein Paar seien. Entschieden weist dies vor allem Léo zurück, doch die anderen Buben greifen bald zu einem feindseligeren Ton und beschimpfen sie als Schwuchteln. Um jeden Verdacht der Homosexualität von sich zu weisen, beginnt Léo deshalb einerseits Eishockey zu spielen, andererseits sich zunehmend von Rémy zu distanzieren.


Dhont erkundet nicht nur intensiv den fließenden Grenzbereich von Freundschaft und Liebe, sondern erzählt auch, unterstützt von den beiden wunderbar natürlich und intensiv agierenden Kinderdarstellern, bewegend von den tragischen Folgen dieser Zurückweisung.


Eine abrupte Wende nimmt "Close" nämlich nach etwa 45 Minuten. An die Stelle der Freundschaft, die zuvor Lebensfreude und Glück verbreitete, treten nun Einsamkeit, Verstummen und Schuldgefühle. Nah dran ist die Kamera nun nur noch an Léo, fokussiert ganz auf ihn, der mit den vergangenen Ereignissen nicht umgehen, aber auch nicht darüber sprechen kann.


Jahrzehnte zurück liegt dagegen die Zurückweisung, die einst die Protagonistin von Andrea Pallaoros "Monica" von ihrer Mutter erfuhr. Den provinziellen amerikanischen Mittleren Westen hat sie damals verlassen und sich in Kalifornien niedergelassen. Doch nun erhält sie von ihrer Schwägerin einen Anruf, in dem gebeten wird, zurückzukehren, um sich um die todkranke Mutter (Patricia Clarkson) zu kümmern.


Von der ersten Einstellung an erzeugt das enge, fast quadratische Bildformat Nähe zu der von der Transfrau Trace Lysette gespielten Protagonistin. Nichts lenkt hier den Blick vom Gesicht ab, Gestik und Mimik sind wichtiger als der Dialog. Zögerlich bricht Monica über die weiten Highways in ihre Heimat auf. An die Stelle der Weite tritt bald die Enge des elterlichen Hauses. So nah sich hier Monica und ihre Mutter räumlich sind, so fern sind sie sich innerlich.


Zunächst erkennt die verwirrte Mutter die Tochter gar nicht, agiert teilweise immer noch schroff, selbstherrlich und abweisend, sodass auch Monica auf Distanz bleibt. Doch mit dem Blick auf die Krankheit und Gebrechlichkeit der Mutter entwickelt die Tochter doch Empathie und auch in der Beziehung zu dem ihr entfremdeten Bruder kommt etwas in Bewegung.


Bewegend lotet Pallaoro in seinem kammerspielartigen Drama familiäre Bruchlinien und die Schwierigkeiten aus, diese zu überwinden. Unterstützt vom starken Spiel von Trace Lysette und Patricia Clarkson, bietet er einen intensiven Einblick in seelische Verletzungen und die lange Nachwirkung von Kränkungen, verbreitet aber auch Hoffnung auf Annäherung und Vergebung, durch die auch Monica inneren Frieden und Ruhe finden kann.


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