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AutorenbildWalter Gasperi

68. IFFMH: Prägende Landschaften

Klassisches Weltkino bietet das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg (14.11. – 24.11. 2019) immer wieder, wenn geographisch stark verankerte und aus der Landschaft heraus entwickelte Filme wie die italienische Ballade „Lucania“, das chinesische Drama „The Swing Maker“, das mongolische Roadmovie „Under the Turquoise Sky“ oder Laura Mahlbergs Flughafenfilm „Holding Positions“ präsentiert werden.


Ganz im Zeichen des Abschieds von Michael Kötz, der ab 1992 das Festival leitete, steht die heurige Ausgabe. Vor jedem Film läuft ein Trailer, der kurz an die vergangenen 27 Jahre erinnert. Mit Ende dieses Festivals wird aber nicht nur der Direktor, sondern sein komplettes Team zurücktreten. Ein radikaler Schnitt wird damit gemacht, gespannt sein darf man, welche Neuerungen sein Nachfolger Sascha Keilholz und dessen Team ab dem nächsten Jahr bringen werden.


Das heurige Festival trägt aber noch klar die Handschrift von Kötz und seinem Team. Während Filme oft im Streben weltweit erfolgreich zu sein, ihre regionale Verortung gezielt vertuschen und möglichst universell sein wollen, werden hier Filme gezeigt, die ihre Handlung gerade aus der Landschaft heraus entwickeln, das regionale Ambiente vielfach gleich wichtig ist wie die erzählte Geschichte.


Im zweiten Spielfilm des Italieners Gigi Roccati macht das schon der Titel „Lucania“ deutlich. Mit der Verwendung des historischen Namens der heutigen süditalienischen Basilikata bringt Roccati dabei zudem eine historische Dimension ins Spiel und spielt mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Für die Vergangenheit steht hier der Bauer Rocco, der versucht mit Hilfe einer Zauberin seine seit dem Tod der Mutter verstummte Tochter Lucia zu heilen. Die Gegenwart verkörpert dagegen sein Nachbar, der mit der Mafia kooperiert und auf Roccos Grund Giftmüll deponieren will, während die Tochter Lucia am Schluss als hoffnungsvolle Zukunftsträgerin präsentiert wird.


Weil Rocco sich gegen die kriminellen Machenschaften des Nachbarn wehrt und dessen Sohn dabei schwer verletzt, muss er mit seiner Tochter durch die von der modernen Zivilisation noch weitgehend unberührte Wald- und Wiesenregion flüchten. In lichtdurchfluteten und warme Farben getauchten prächtigen Landschaftstotalen feiert Roccati in seinem bildmächtigen Film dieses archaische Land, dessen Rauheit immer wieder betont wird, macht aber auch dessen Beschädigungen sichtbar, wenn Weinberge vergiftet sind, Schafe verenden.


Wie in „Lucania“ ist auch in „The Swing Maker“, dem Spielfilmdebüt des Chinesen Da Xiong, immer wieder davon die Rede, dass dies ein raues Land sei. In kontrastreichen Schwarzweißbildern evoziert Xiong eindrücklich die triste Atmosphäre eines Ölfelds in der zentralchinesischen Provinz Shaanxi. Alle wollen von hier weg, nur der alternde Liu scheint zunächst trotz Pensionierung die karge, windige Gegend nicht verlassen zu wollen.


Wenn Liu schließlich doch in die Stadt Xi´an aufbricht, wird das Spannungsfeld des heutigen China zwischen ländlicher Region und boomender Großstadt prägnant visualisiert. Der kargen Landschaft steht hier das Gewurl auf den Straßen der Stadt und die Hochhaussiedlungen gegenüber, gleichzeitig aber auch der Generation von Liu die seiner Tochter, die ganz von der westlichen – amerikanischen – Kultur geprägt ist und Werbespots fürs Fernsehen produziert.


Gegenpol zu diesen rauen Landschaftsfilmen bildet das Roadmovie „Under the Turquoise Sky“ des Japaners Kentaro. Ein alter Firmenchef schickt hier seinen Enkel, der sich die Zeit nur mit jungen Frauen und Champagner vertreibt mit einem mongolischen Pferdedieb auf eine Reise durch die Steppen der Äußeren Mongolei. Einerseits soll dies zu einer Läuterung des Enkels führen, andererseits sollen sie eine Tochter des Firmenchefs ausfindig machen, die er am Ende des Zweiten Weltkriegs in einem russischen Kriegsgefangenenlager mit einer Mongolin gezeugt hat.


Im Stil klassischer Roadmovies erzählt Kentaro nicht nur von der Entwicklung der Beziehung zwischen dem Enkel und dem Pferdedieb, sondern lässt sie in dem sehr linear erzählten Film selbstverständlich auch unterschiedliche, teils witzige Begegnungen machen. So wie Kentaro dabei die Szenen mit dem Großvater sehr stilisiert vor leerem weißem Hintergrund inszeniert, so ist er auch bei den Erlebnissen in der Steppe kaum an Realismus interessiert, sondern schwelgt in Postkartenansichten der endlos weiten Landschaft. Im Gegensatz zu „Lucania“ und „The Swing Maker“ soll hier die Landschaft vor allem Augenfutter bieten, im Zentrum steht aber die doch sehr vorhersehbare Entwicklung des Enkels.


Ganz aus dem Schauplatz heraus entwickelt dagegen die Heidelbergerin Laura Mahlberg ihr Langfilmdebüt „Holding Positions“. Zahlreiche statische und zunächst tonlose, dann von Jazz begleitete Einstellungen von verschiedenen Bereichen eines Flughafens vom Parkplatz über den Check-In-Bereich, Rolltreppen und Wartehallen reiht Mahlberg zunächst aneinander, um dann auf ein chinesisches Pärchen zu fokussieren, das auf seinen Flug wartet. Gelangweilt beginnt die junge Frau andere Reisende zu fotografieren, was bald zu anderen Episoden überleitet. Und zwischen diesen Blicken auf die Menschen gibt es immer wieder den Blick auf die Räume, auf die Aussichtsplattform ebenso wie auf startende Flugzeuge sowie die zahllosen Piktogramme, bis sich am Ende mit Ansichten aus dem in der Nacht leeren Flughafen der Kreis zum Anfang schließt.


Treffend geschnitten entwickelt dieser Hybrid zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm zweifellos einen schönen Rhythmus, allerdings bleiben einem einerseits die Figuren doch so fremd wie eben Zufallsbeobachtungen auf Flughäfen und fehlt es andererseits den Episoden an Pointiertheit und Prägnanz. So plätschern diese 75 Minuten doch mehr dahin als wirklich mitzureißen und haften bleibt vor allem die Frage in einem Kreuzworträtsel, auf die eine Reisende eine Antwort sucht: „Jemand, auf den man vergeblich wartet, fünf Buchstaben.“

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