Während andere Festivals mit einer Vielzahl von Filmen die Besucher fast erschlagen, gilt beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg (14.11. – 24.11. 2019) das Motto „Weniger ist mehr“. Man beschränkt sich auf rund 50 Filme und klotzt nicht mit großen Namen, sondern will mit sorgfältig ausgewählten Newcomern das Publikum mit spannenden Entdeckungen überraschen.
Starregisseure bietet das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg kaum, doch nicht wenige Regiestars von Wim Wenders und Jim Jarmusch über Atom Egoyan und Thomas Vinterberg bis Derek Cianfrance präsentierten ihre ersten Filme bei diesem Festival. Es ist ein Platz der Entdeckungen, ein Festival das Raum auch für ungewöhnliche Erzählweisen bietet und alljährlich mit großer geographischer, inhaltlicher und formaler Spannbreite begeistert. Durchaus zutreffend sind so die Adjektive "aufregend, vielversprechend, jung", mit denen sich das Festival selbt beschreibt.
Nach 28 Jahren verabschiedet sich mit dieser Ausgabe Michael Kötz als künstlerischer und kaufmännischer Direktor und noch einmal gibt es eine Neuerung, denn nicht eine Fachjury, sondern allein das Publikum vergibt die Hauptpreise des Festivals, darunter den Grand Newcomer Award Mannheim Heidelberg.
Gleich geblieben ist aber die geographische und kulturelle Offenheit, die seit mehreren Jahren auch das Plakat mit einem Bildrahmen, durch den sich der Blick auf die Welt öffnet, signalisiert. Programmatisch ist dieses Bild freilich, denn Mannheim-Heidelberg will den Blick auf wenig bekannte Filmländer öffnen. Aus Burkina Faso kann man folglich ebenso einen Film entdecken wie aus Taiwan, Nordmazedonien, Lettland oder Kolumbien, während die sonst omnipräsenten USA eher eine Nebenrolle spielen.
Eröffnet wird das heurige Festival mit dem japanisch-mongolischen Spielfilm „Under the Turquoise Sky“, in dem ein in Überfluss lebender junger Japaner in Begleitung eines mongolischen Pferdediebs in der Weite der Steppe lernen soll, was das Leben wirklich ausmacht. Der Afghane Jamshid Mahmoudi bietet dagegen in „Rona, Azim´s Mother“ Einblick in die Lage von afghanischen Flüchtlingen im Iran, während der Argentinier Juan Pablo di Bitonto in „Magali“ von der Rückkehr einer jungen Frau in ihr am Fuß der Anden gelegenes Heimatdorf erzählt.
Die Brasilianer Marília Hughes und Cláudio Marques wiederum spüren in „The Cotton Wool War” dem Frausein in Brasilien nach und die aus Burkina Faso stammenden Abdoulaye Dayo und Hervé Eric Lengani bieten mit „Duga, the Scavengers“ laut Festivalprogramm ein unterhaltsames Bouquet gewitzter Filmgeschichten, die geschickt verknüpft werden.
Einen authentischen Blick auf das China von heute darf man von Da Xiongs „The Swing Maker“ erwarten, während Laura Mahberg in "Holding Positions" das alltägliche Geschehen auf Flughäfen mit der Kamera festhält. Der Schweizer Andreas Hoessli wiederum präsentiert mit „Der nackte Köing – 18 Fragmente über Revolution“ einen Essayfilm über die islamische Revolution des Iran ebenso wie über den Aufstand von Solidarnosc in Polen.
Dem gänzlich unbekannten Filmland Dominikanische Republik, das mit „The Projectionist“, in dem José María Cabral von einer Kinoliebe erzählt, vertreten ist, steht mit dem französischen „Deux fils“, in dem Félix Moati von den Sorgen und Nöten eines Vaters und seiner zwei Söhne erzählt, ein klassisches Filmland gegenüber. Auf die schwierige Situation der Frauen in der indischen Krisenregion Kaschmir blickt wiederum Praveen Morchhale in „Widow of Silence“, während der gebürtige Isländer Elfar Adalsteins mit „End of Sentence“ ein Roadmovie vorlegt, in dem Vater und Sohn die Asche der verstorbenen Mutter von den USA nach Irland bringen sollen.
Auf einen abgelegenen süditalienischen Bauernhof wird der Zuschauer in Gigi Roccatis „Lucania“ entführt, die Japanerin Yuko Hakota lässt dagegen in „Blue Hour“ eine 30-Jährige ihr Leben und ihre Familie mit neuen Augen sehen. Stark vertreten ist Kanada mit einem französisch- und drei englischsprachigen Filmen.
Den Alltag einer nordmazedonischen Bienenzüchterin dokumentieren Ljubomir Stefanov und Tamara Kotevska in „Honeyland“, Einblick in die saudi-arabische Männergesellschaft bietet dagegen Abdulmohsen Aldhabaan in seinem ersten Langspielfilm „Last Visit“.
Humoristische Töne schlägt F.-Christophe Marzal in seinem Feel-Good-Movie „Tambour Battant“ an, in dem von Walliser Blasmusikkapellen erzählt wird, und auch "Old Timers" der Tschechen Martin Dusek und Ondrej Provaznik dürfte auf Witz setzen, während Chun-Hao Chans „The Roar“ als taiwanesischer „Taxi Driver“ angekündigt wird.
Wie gewohnt wird bei diesem Festival aber auch ein Programm für Kinder geboten. Neun Filme abseits von Disney und Co entführen hier nach Nepal ebenso wie in die Ukraine oder nach Kenia und werden wohl kaum nicht weniger aufregende Entdeckungen als das Erwachsenenprogramm bieten.
Programmheft und alle weiteren Infos finden Sie hier
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