Ein Opernkomponist in der Krise, eine liebessüchtige Schlepperkapitänin, ein ultrakonservativer Gerichtsprotokollführer. – Originelle Figuren versammelt Rebecca Hall in "She Came to Me", mit der die heurige Berlinale eröffnet wurde, und auch die Handlung bewegt sich außerhalb ausgetretener Bahnen, doch wirklich mitzureißen und zu begeistern vermag diese romantische Komödie dennoch nicht.
Mit den Eröffnungsfilmen von großen Filmfestivals ist das immer so eine Sache: Sie sollen mediale Aufmerksamkeit erregen und meist auch massenkompatibel, also möglichst nicht kontrovers sein. Mit einer US-Komödie mit Stars wie Peter Dinklage, Anne Hathaway und Marisa Tomei geht man auf Nummer sicher. - Große Filmkunst darf man aber kaum erwarten.
Die Arie "Die Liebe ist ein wilder Vogel" ("Habanera") aus Georges Bizets Oper "Carmen" stimmt schon auf das zentrale Thema von Rebecca Millers sechstem Spielfilm ein. Dem kleinwüchsigen Opernkomponisten Steven (Peter Dinklage) ist die Präsentation dieser Arie auf einer vornehmen Party aber zu viel, denn er leidet seit einiger Zeit an einer schöpferischen Krise.
Nach einer Depression hat er seine Therapeutin Patrizia (Anne Hathaway) geheiratet, die wiederum an einem Ordnungswahn leidet und zudem eine religiöse Besessenheit entwickelt. Parallel dazu erzählt Rebecca Miller von einem jugendlichen Liebespaar und einer zweiten Familie mit einem ultrakonservativen Gerichtsprotokollführer als Vater und einer aus Osteuropa immigrierten Mutter.
Bald stellen sich Querverbindungen zwischen den einzelnen Erzählsträngen ein und als weitere Akteurin kommt die Schlepperkapitänin Katrina (Marisa Tomei) dazu, die Steven bei einem Spaziergang in einer Bar kennenlernt. Sie erklärt offen, dass sie süchtig nach Liebe sei und verführt den Komponisten. Damit löst sich zwar seine schöpferische Blockade und er feiert einen Erfolg mit einer neuen Oper, in der er die Erfahrungen mit der Kapitänin verarbeitet, doch diese will nun wirklich das Herz des Musikers gewinnen.
Das ist nur der Beginn von "She Came to Me", bei dem Miller weniger in die Tiefe als vielmehr in die Breite geht. Wie sie den von Neurosen geplagten Erwachsenen das noch unbefangene Liebespaar gegenüberstellt, so auch der ihr Liebesverlangen auslebenden Kapitänin den ultrakonservativen Gerichtsprotokollführer. Geschickt spiegeln sich dabei auch in den beiden Müttern, die selbst früh schwanger wurden und von denen die eine deshalb ihr Studium abbrach, auch die beiden Teenager, die ihre Liebe über alles stellen und nicht an die Zukunft denken.
So originell die Figuren sind, so überlegt und wendungsreich ist auch der Aufbau dieses klassischen Ensemblefilms, der von seinen mit sichtlichem Vergnügen spielenden Schauspieler:innen getragen wird. Leichthändig und unverkrampft ist auch die Inszenierung, entwickelt Witz auch durch die Opernszenen, in denen die Filmhandlung gespiegelt wird.
Man schmunzelt immer wieder und wird charmant unterhalten und dennoch fehlt es dieser romantischen Komödie, die auch von der gesellschaftlichen Spaltung der USA erzählen will, letztlich an Drive und Kraft. – Zu sehr plätschert dieses nette, aber doch belanglose Divertimento an der Oberfläche dahin, lässt es sowohl an wirklichem Biss als auch an berührender Emotionalität missen, um wirklich mitzureißen, zu begeistern und haften zu bleiben.
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