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AutorenbildWalter Gasperi

73. Berlinale: Dieses bittersüße Leben

Aktualisiert: 26. Feb. 2023


Voll Melancholie erzählt Zhang Lu in "The Shadowless Tower" von einem Restaurantkritiker mittleren Alters, der langsam wieder Kontakt zu seinem Vater knüpft. Um zwei Koreaner:innen, deren Kinderfreundschaft durch Emigration abbrach, die Jahre später aber wieder den Kontakt suchen, geht es dagegen in Celine Songs zartbitterem "Past Lives".


Mit einem Blick auf zwei Männer und eine Frau in einer nächtlichen Bar und der aus dem Off gestellten Frage, in welcher Beziehung dieses Trio steht, lässt die südkoreanisch-kanadische Dramatikerin und Filmemacherin Celine Song ihr Spielfilmdebüt "Past Lives" beginnen. Vorhersehbar ist, dass der Film schließlich zu dieser Barszene zurückkehren wird, doch zunächst blendet Song 24 Jahre zurück.


Wenn sich hier die zwölfjährige Young Na und ihr Mitschüler Hae Soung an einer Weggabelung verabschieden, weist das schon auf die unterschiedliche Entwicklung hin, die ihr Leben nehmen wird. Young Na wird mit ihrer Familie nach Kanada auswandern und dabei auch mit der Änderung ihres Vornamens in Nora quasi eine neue Identität annehmen, Hae Soung wird dagegen in Südkorea bleiben.


Mit einem Schnitt überspringt Song zwölf Jahre und lässt Nora, die inzwischen in New York Schriftstellerin ist, einen Skype-Kontakt mit ihrem Kindheitsfreund beginnen. Tausende Kilometer sind sie getrennt und dennoch spürt man in diesen Gesprächen große Nähe. Schon sprechen sie über gegenseitige Besuche, da bricht Nora den Kontakt ab und geht in eine Schriftstellerkolonie, wo sie Arthur kennenlernt.


Mit einem weiteren Schnitt werden nochmals zwölf Jahre übersprungen. Nora und Arthur sind längst ein Ehepaar, das Hae Soung nun in New York für einige Tage besuchen wird.


Man spürt in jeder Szene, dass Song von eigenen Erfahrungen und Gefühlen erzählt. Lebensecht wirkt auch dank großartiger Schauspieler:innen jeder Dialog, nichts wirkt gekünstelt. So privat und klein die Geschichte aber auch ist, so universell und zeitlos ist der Film. Denn meisterhaft reduziert auf die drei Personen, ihre Beziehung und ihre Gefühle erzählt die 33-Jährige ebenso zart wie berührend ganz allgemein von Entscheidungen, mit denen man das frühere Leben hinter sich lässt, um ein neues zu beginnen, von Verlust und gleichzeitig von neuen Chancen.


Ein Verlust steht auch am Beginn von Zhang Lus "The Shadowless Tower", wenn der Restaurantkritiker Gu mit seiner Tochter, seiner Schwester und deren Ehemann das Grab der Mutter besucht. Doch lange hält man sich hier nicht auf, denn mit drei Verbeugungen ist das Ritual erfüllt und man fährt wieder nach Hause.


Wenn hier höflich eine Pflicht erfüllt wird, man aber keine Gefühle zeigt, verweist dies auch auf Gu, dessen Ehe letztlich an seiner Höflichkeit zerbrochen sein soll. Nach dem Grabbesuch steckt ihm beim Abschied sein Schwager einen Zettel mit der Adresse und Telefonnummer seines Vaters zu.


Jahrelang hat Gu diesen nicht mehr gesehen, nachdem er der sexuellen Belästigung in einem Bus beschuldigt und zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt worden war. Gus Mutter ließ sich scheiden und jeden Kontakt zum angeblichen Grapscher brach die Familie ab, obwohl dieser immer wieder seine Unschuld beteuerte.


Auch jetzt will Gu zunächst keinen Kontakt aufnehmen, beginnt dann aber per Festnetz, dann auch per Handy anzurufen, legt aber auf, sobald der Vater sich meldet. Auf diesen telefonischen Kontakt folgt die heimliche Beobachtung des Vaters, der an der Küste Drachen steigen lässt, bis sie sich schließlich doch gegenübersitzen.


Parallel zu dieser Vater-Sohn-Geschichte erzählt Lu aber auch von der Beziehung Gus zu einer jungen Frau, die für seinen Food-Blog Fotos macht. Aus dem beruflichen Kontakt entwickelt sich dabei ein Schwebezustand zwischen Freundschaft, Vater-Tochter-Verhältnis und Liebe.


In langsamem Erzählrhythmus und ganz unaufgeregt erzählt Lu. Nichts wird dramatisiert, federleicht und wie hingetupft wirkt alles. Perfekt korrespondiert diese zurückhaltende Erzählweise dabei mit dem distanzierten Verhalten der Figuren und ihrer übertriebenen Höflichkeit, bei der nie große Emotionen gezeigt werden. Doch gerade durch diese Langsamkeit und die Zurückhaltung, die auch das Spiel der Schauspieler:innen kennzeichnet, zieht dieses tiefmelancholische, leise und sanfte Drama, dessen Titel auf den Tempel der Weißen Pagode in Peking verweist, die angeblich keinen Schatten wirft, langsam, aber nachhaltig in den Bann.


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