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AutorenbildWalter Gasperi

73. Berlinale: Schanelecs "Ödipus"-Variante und Petzolds "Roter Himmel"

Aktualisiert: 26. Feb. 2023


Angela Schanelec treibt mit "Music" ihr Kino der extremen elliptischen Erzählweise weiter, Christian Petzold setzt nach "Undine" mit "Roter Himmel" seine von Figuren der deutschen Romantik inspirierte Trilogie fort.


Mit einer langen statischen Totalen einer griechischen Berglandschaft, die langsam im Nebel verschwindet, bis ein Donnergrollen einen kräftigen akustischen Akzent setzt, beginnt Angela Schanelecs "Music". So überlegt und auch so schön wie dieser Auftakt ist jede einzelne Einstellung der folgenden 108 Minuten komponiert und kein Schnitt ist unbedacht gesetzt.


Wie in Pasolinis "Edipo Re" wird zumal im ersten Teil kaum ein Wort gesprochen, doch würde man nicht aus dem Pressetext wissen, dass es sich um eine Modernisierung des Ödipus-Mythos handelt, dürfte man den Zusammenhang angesichts der elliptischen Erzählweise kaum erkennen.


Die Auffindung eines Babys in der Berglandschaft ist zwar noch ein klassisches Element dieser griechischen Tragödie. Aber wenn schon wenig später ein junger Mann unabsichtlich einen etwa Gleichaltrigen, der ihn küssen will, tötet, wird man ohne Vorwissen in diesem Mann kaum das Baby vom Beginn sehen.


20 Jahre überspringt hier Schanelec mit einem Schnitt, doch auch die folgenden Szenen, in denen der Mann nach einer Haftstrafe eine Beziehung mit einer Wärterin beginnt, scheinen angesichts von altem Kassettenrekorder und Festnetztelefon mit Drehscheibe in den 1970er und 1980er Jahren zu spielen. Andererseits lässt eine aus dem Off zu hörende Übertragung eines Fußballspiels durch Expertenwissen oder Google-Recherche die Handlung während der Fußball WM 2006 verorten.


Mit einem Schnitt springt "Music" danach nicht nur vom ländlichen Griechenland nach Berlin, sondern angesichts des Blicks auf ein modernes Smartphone auch in die Gegenwart. Langsam erblindet hier der junge Mann, der nicht zu altern scheint, doch gleichzeitig entwickelt er sich zum begnadeten Sänger.


Den Ödipus-Mythos verbindet Schanelec so gewissermaßen mit dem Orpheus-Mythos, aber so beeindruckend der Film in seiner Fragmentierung auch ist, so frustriert kann er auch zurücklassen angesichts der Tatsache, dass sich die Handlung ohne vorheriges oder nachheriges Studium der Inhaltsangabe wohl kaum erschließt.


So sehr man Filme begrüßen muss, die die Fantasie nicht binden, sondern freisetzen und zum selbstständigen Füllen von Leerstellen anregen, so wenig macht es wohl Sinn, wenn diese Leerstellen so groß sind, dass es nahezu unmöglich ist, die Einzelteile zu einem schlüssigen Ganzen zusammenzufügen. – So bewundert man zwar die formale Meisterschaft von Schanelec, gleichzeitig nervt er aber auch mit einer Fragmentierung, bei der die Leerstellen zwischen den Bildern weit größer sind als das, was gezeigt wird.


Christian Petzold hat dagegen mit "Roter Himmel" nicht nur seinen bislang wohl zugänglichsten, sondern auch seinen leichtfüßigsten und witzigsten gedreht. Im zweiten Teil der mit "Undine" begonnenen Trilogie zu Figuren der deutschen Romantik entwickelt der 63-jährige Deutsche um vier junge Menschen, die in einem Ferienhaus an der Ostsee aufeinandertreffen, ein Beziehungsdrama, das durch genaue Zeichnung der unterschiedlichen Figuren und starke Schauspieler:innen besticht.


Während sich bei "Undine" der mythisch-märchenhafte Bezug schon durch den Titel ergibt, stellt sich dieser bei "Roter Himmel", dessen Titel auf die unkontrollierten Waldbrände, die sich langsam dem Ferienhaus nähern, bezieht, erst nach rund 80 Minuten mit dem Vortrag eines Gedichts ein. Bis dahin bewegt sich der Film aber in den Bahnen eines doch überraschend konventionellen Beziehungsfilms und nimmt erst im Finale richtig Fahrt auf, gewinnt an Dichte und Faszination.


Vermissen lässt der Film nämlich mit der Fokussierung auf die vier Protagonist:innen und das Ferienhaus als einzigem Schauplatz sowohl den Bezug zur deutschen Wirklichkeit, der Filme wie "Die innere Sicherheit", "Jerichow" oder "Yella" so stark machte, als auch die Verbindung von in der Realität geerdeter Handlung mit geisterhaft-märchenhafter Stimmung, die bislang allen Filmen Petzolds eine faszinierende Aura verlieh.


Schwer zu beurteilen ist, inwieweit dies am Tod Harun Farockis liegt, der an allen Drehbüchern von Petzolds Filmen bis "Phoenix" (2014) mitarbeitete. – Unübersehbar ist aber, dass "Roter Himmel" durch den Wegfall dieser speziellen Stimmung der besondere Touch, den Petzolds Filme bisher auszeichnete, fehlt.


Aber diese Abkehr vom Bekannten war wohl durchaus intendiert, denn Petzold selbst erklärte, dass er nach seiner Corona-Erkrankung keinen dystopischen Film drehen wollte, sondern einen Film über die Liebe junger Menschen. So kann man diesen leichten und luftigen Sommerfilm, der erst am Ende ernste und tragische Töne anschlägt, auch als Reaktion und Antwort des deutschen Filmemachers auf unsere krisenhaften Zeiten lesen.


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