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AutorenbildWalter Gasperi

74. Berlinale: Große Vielfalt statt große Klasse

Aktualisiert: 25. Feb.

Große Vielfalt bot der Wettbewerb um den Goldenen Löwen mit dem tunesischen Drama "Mé el Aïn - Who Do I Belong to?" und dem nepalesischen Spielfilm "Shamhbala" bis zum Schluss. – Trotz ihrer Qualitäten konnten aber auch diese Filme nicht für echte Highlights sorgen.


Über mangelnde Vielfalt konnte man im Wettbewerb der heurigen Berlinale wirklich nicht klagen. Nicht nur die klassischen Filmnationen waren hier präsent, bei denen Bruno Dumont mit "L´empire" auch eine durchgeknallte Science-Fiction-Parodie beisteuerte, sondern auch zwei Dokumentarfilme, Historiendramen und mit "Pepe" ein ziemlich experimenteller Film aus der Dominikanischen Republik, in dem ein Nilpferd sich als Erzähler präsentiert, wurden geboten.


Diese Vielfalt hielt bis zum Ende mit dem tunesischen Drama "Mé el Aïn – Who do I Belong to?" und dem nepalesischen Spielfilm "Shambhala an. In Analogie zu Kaouther Ben Hanias "Olfas Töchter" könnte man dabei das Langfilmdebüt der in Tunesien geborenen und in den USA aufgewewachsenen Meryam Joobeur auch "Aichas Söhne" nennen. Wie dort zwei Töchter sich dem IS anschließen und in den Krieg ziehen, so belastet hier eine Bauernfamilie in Nordtunesien und speziell die Mutter Aicha, dass zwei Söhne heimlich nach Syrien gezogen sind.


Der jüngere Bruder ist besorgt, dass seine Geschwister nun als Terroristen gelten und bei der Rückkehr mit einer Haftstrafe rechnen müssen, während die Eltern sich gegenseitig die Schuld an der Entscheidung der Söhne geben. Nah dran an der Familie ist die Kamera in dem im engen 4:3-Format gefilmten Drama, macht intensiv deren Sorgen spürbar, doch andererseits wirkt Joobeurs Erweiterung ihres für einen Oscar nominierten Kurzfilmes "Brotherhood" teilweise auch ziemlich zerdehnt.


Als plötzlich der ältere Sohn vor der Tür steht und seine mit einem Nikab völlig verschleierte, hochschwangere Begleiterin vorstellt und vom Tod seines Bruders berichtet, lösen sich die Spannungen in der Familie nicht, sondern steigern sich. Denn einerseits will die Mutter, deren nicht heilende Verletzung an der Hand auf innere Verwundungen verweist, den Zurückgekehrten auf jeden Fall beschützen und versteckt ihn, andererseits ist der Vater dafür, ihn der Polizei zu übergeben. Zudem beginnt sich der jüngere Bruder vor der Frau, die kein Wort spricht, zu fürchten.


Als auch noch zunächst ein Schaf eines Nachbarn getötet wird und bald auch Menschen verschwinden, steigert sich die Beunruhigung. Irritation löst "Mé el Aïn - Who Do I Belong to?" dabei auch aus, weil unklar bleibt, ob diese Frau nun real oder ein Phantom ist – das aber seltsamerweise doch alle sehen – und wer und wieso nun Rache an den tunesischen Bauern übt, denen doch kaum Schuld an den Gräueltaten des IS gegeben werden kann. – So lässt dieses Spielfilmdebüt trotz starker Schauspieler:innen und überzeugender Bildsprache mit seiner – zumindest auf den ersten Blick – nicht logisch erklärbaren Handlungsführung auch unbefriedigt zurück.


In den nepalesischen Himalaya entführt dagegen Min Bahadur Bham in "Shambhala", der als erster Film aus Nepal in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen wurde. Fern ist in dem in einer Höhe zwischen 4200 und 6000 Metern gedrehten Spielfilm jede moderne Technik. Im abgeschiedenen Dorf heiratet die selbsbewusste Pema den Bauern Tashi und seine beiden jüngeren Söhne Karma und Dawa. Weil Karma ins Kloster eintritt und Dawa noch im Volksschulalter ist, ist Tashi der eigentliche Ehemann.


Als Pema aber während einer mehrmonatigen Handelsreise Tashis nach Lhasa entdeckt, dass sie schwanger ist, kommen Gerüchte über den Vater auf. Weil Tashi auch in der Ferne davon hört, kehrt er nicht in das Dorf zurück, doch Pema macht sich auf die Suche nach ihrem Mann, um ihm ihre Liebe und Unschuld zu beweisen.


Min Bahadur Bham bietet mit seinem zweiten Spielfilm entschleunigtes Kino, das mit seinen langen und ruhigen Einstellungen und großartigen Landschaftstotalen in den meditativen Erzählrhythmus und die beeindruckende, ursprüngliche Bergwelt eintauchen lässt. Ganz selbstverständlich korrespondiert dabei die äußere Reise der Protagonistin mit einer Suche nach Ruhe und innerer Befreiung, die im Buddhismus mit dem mythischen Königreich Shambhala verbunden werden.


Keine großen filmsprachlichen Überraschungen werden hier geboten, sondern linear erzählt Bham und einzig einige in Sepiatöne getauchte – etwas kitschige - Träume, die eine Ahnung vom Shambhala vermitteln sollen, unterbrechen den Handlungsfluss. Doch so einfach und geradlinig dieser Film auch angelegt ist, im Abtauchen in eine fremde Welt, die hier authentisch-rau und nicht exotisch wirkt, und in seinem ruhigen Erzählfluss ist dies doch ein angenehmer und bildschöner Kontrapunkt einerseits zur alltäglichen Hektik und andererseits auch zu den anderen Wettbewerbsfilmen.   


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