
Andreas Dresen erzählt in "In Liebe, Eure Hilde" zurückhaltend, aber intensiv und packend von der von den Nazis hingerichteten Hilde Coppi. Piero Messina legt dagegen mit "Another End" in Science-Fiction-Gewand ein bildstarkes Melodram über Verlust, Trauer und die Sehnsucht nach Liebe vor.
Hilde Coppi wurde am 5. August 1943 im Alter von 34 Jahren als Mitglied der von der Gestapo als "Rote Kapelle" bezeichneten Widerstandsgruppe von den Nazis in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Wie wenig es Andreas Dresen in "In Liebe, Eure Hilde" um den historischen Hintergrund geht, zeigt sich einerseits darin, dass in den 121 Minuten des Films nie die Bezeichnung "Rote Kapelle" fällt und dass er andererseits auf jedes Insert zu Ort und Zeit verzichtet.
Ganz auf die von Liv Lisa Fries großartig gespielte Hilde fokussiert Dresen, erzählt konsequent aus ihrer Perspektive. Mit der Verhaftung der hochschwangeren Frau setzt der Film ein, doch keine Verhöre durch schreiende und schlagende Nazi-Häscher folgen, sondern der Erzählton bleibt ruhig und leise, die Beamten agieren kühl und sachlich.
Statt dramatische Szenen aufzubauen, vertraut Dresen auf seinen genauen Blick. Intensität entwickelt "In Liebe, Eure Hilde" durch die Ausführlichkeit, mit der beispielsweise die Geburt von Hildes Sohn Hans oder am Ende die Hinrichtung gezeigt wird, und die Zeit, die einzelnen Szenen und den Figuren gelassen wird. Der fast völlige Verzicht auf Filmmusik, die von kalten Blau- und Grautönen bestimmten Bilder, die karg ausgestatteten Räume von der engen Gefängniszelle bis zum Krankenhaus, in dem Hilde als frühere Zahnarztassistentin vorübergehend arbeiten darf, verdichten die beklemmende Atmosphäre.
Kein breites Bild des Dritten Reichs will Dresen zeichnen, sondern er bleibt nahe bei seiner Protagonistin. Während sich die Haupthandlung linear von Verhaftung bis zu Prozess und Hinrichtung nach vorne entwickelt, gehen die eingeschobenen Rückblenden gegenläufig zur Haupthandlung Schritt für Schritt weiter zurück.
Bruchstückhaft wird so in diesen Rückblenden der Bogen von Angst vor Verhaftung und intensiver Liebe zu Hans bis zu Hildes erster Begegnung mit dem überzeugten Kommunisten gespannt. Dabei stehen nicht nur der Staatsmacht die leidenschaftliche Liebe, sondern auch der emotionalen Kälte und Enge im Gefängnis sommerliche Szenen an einem See und die jugendliche Lebensfreude gegenüber.
Einerseits ist "In Liebe, Eure Hilde" so zwar zeitlich verankert, wirkt in der Reduktion aber nie historisch, sondern erscheint als zeitlose Fabel über couragiertes Handeln in Zeiten des Terrors. Dresen macht Hilde dabei auch nicht zur politischen Aktivistin, sondern vielmehr stellt er ihre Liebe zu Hans ins Zentrum, die mehr als alles andere ihr Motiv für die Unterstützung dieser Widerstandsgruppe war. Nicht über politische Treffen kam sie auch in diese Kreise, sondern einfach durch Begegnungen, durch die Freundschaften entstanden.
Während Dresen auf Reduktion setzt, trumpft Piero Messina in "Another End" mit Musik, Kulissen und Bildgestaltung auf, um Emotionen zu schüren. Wie in eine Zwischenwelt getaucht wirkt dieser in einer nahen Zukunft spielende Film mit einem kalten, weiten Betonplatz, seiner von kalten Glas- und Betonfassaden bestimmten Zentrale der Firma "Another End" und den meist in Halbdunkel getauchten Wohnungen.
Fahl ist auch das Gesicht des von Gael Garcia Bernal gespielten Sal, der über den Unfalltod seiner Frau Zoe nicht hinwegkommt. Als ihn seine Schwester bei einem Selbstmordversuch gerade noch rettet, schlägt sie ihm das Programm von "Another End" vor. Dort kann man nämlich kurzzeitige Wiederbegegnungen mit Verstorbenen buchen, weil deren Bewusstsein Versuchspersonen – sogenannten Hosts - implantiert wird. Befristet ist freilich das Projekt, soll nur die Möglichkeit für einen sanfteren und bewussteren Abschied bieten. Sal aber will nach den ersten Begegnungen nicht akzeptieren, dass es keine weiteren Kontakte mit Zoes Host geben soll, und beginnt dieser Frau nachzustellen.
Das Thema des Umgangs mit Verlust und Trauer ist nicht neu, doch mit dem utopischen Projekt verleiht Messina ihm doch einen eigenen Dreh. Zudem gelingt es dem Italiener durch Bildsprache und Musik so intensiv eine Stimmung der Melancholie und Verlorenheit zu evozieren, dass die Trauer und der Schmerz Sals eindrücklich nach außen gekehrt und erfahrbar werden.
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