Durch genaue Beobachtung besticht "Petite Solange", in dem Axelle Ropert einfühlsam die zunehmende Belastung einer 13-Jährien durch die drohende Trennung ihrer Eltern schildert. Rauschhaftes Kino bietet dagegen Lorenz Merz, der in "Soul of a Beast" mit furioser Bild- und Tonsprache die Leidenschaftlichkeit seines jungen Protagonisten und dessen Freundin spüren lässt.
Aus der Distanz begleitet die Kamera mit einem Schwenk die 13-jährige Solange auf ihrem Schulweg, dann im Schulhof und zeigt sie schließlich im Unterricht, bis sie beim Vorlesen eines Gedichts plötzlich in Tränen ausbricht.
Von diesem Einstieg, der Interesse weckt, blendet Axelle Ropert in "Petite Solange" einige Monate zurück, um zu erzählen, wie es zu dieser Traurigkeit ihrer Protagonistin kam. Alles scheint bei der Feier des 20. Hochzeittages von Solanges Eltern noch in Ordnung, als heile Familie präsentieren die Jubilare sich und ihre beiden Kinder beim Gartenfest.
Sukzessive schleicht sich bei Solange in den folgenden Wochen aber eine sich steigernde Angst ein, dass eine Trennung ihrer Eltern droht. Immer häufiger streiten sie sich, bald schläft der Vater auf der Couch, Beobachtungen schüren den Verdacht, dass er eine Geliebte hat, während die Mutter sich an der Schulter der Tochter ausweint, die bald auch entdeckt, dass das Haus verkauft werden soll.
In unaufgeregter Erzählweise, aber mit genauer Beobachtung und getragen von der großartigen Jade Springer in der Hauptrolle versetzt Ropert das Publikum in die Position von Solange und macht eindrücklich die sich steigernde Belastung durch den elterlichen Konflikt erfahrbar. Ist das Mädchen zunächst fröhlich und eine aufmerksame Schülerin, scheint sie zunehmend unkonzentriert und zieht sich zurück, da sie auch niemanden zu haben scheint, mit dem sie sich aussprechen kann.
Nur angedeutet wird eine Tat, nach der dieser kleine, aber feine Film nach einer Schwarzblende quasi neu einsetzt und eine gestärkte Protagonistin zeigt, die nun die Entscheidung der Eltern annehmen kann. Mit der Feier ihres 14. Geburtstags am Ende knüpft "Petite Solange" nicht nur an die Feier vom Anfang an, sondern markiert damit gewissermaßen auch das Ende der Kindheit und der Unbeschwertheit, von dem Ropert in diesen 85 Minuten auch erzählte. Störend ist an diesem ansonsten so zurückhaltend inszenierten Film einzig der viel zu forcierte Musikeinsatz.
Gegenpol zu dieser Zurückhaltung stellt Lorenz Merz´ "Soul of a Beast" dar, in dem der Schweizer im engen 4:3-Format mit dynamischen Schnitt, furiosem Spiel mit Licht, Farbe und Musik den Zuschauer in die Gefühlswelt seiner jugendlichen Protagonisten versetzt. Gabriel ist zwar schon Vater und sollte sich um sein Kind kümmern, sucht aber lieber seinen Freund Jamie auf, um dort Drogen zu konsumieren. Bald verliebt er sich so nicht nur in Jamies Freundin Corey, sondern im gemeinsamen Drogenrausch befreien sie auch die Tiere aus dem Zoo.
Statt auf lineare Erzählung setzt Merz auf einen assoziativen Strom von Träumen, Erinnerungen und Vorstellungen, die sich immer wieder unter die Realität mischen. Szenen scheinen sich auch leicht variiert zu wiederholen und möglich ist zudem, dass sich einiges wie die Befreiung der Tiere nur im Drogenrausch abspielt.
Beliebig wirkt bei dieser Erzählweise allerdings manches, andererseits entwickelt Merz durch die entfesselte Filmsprache, die an die frühen Filme Wong Kar-weis erinnert, immer wieder eine soghafte Wirkung. Zu einem geschlossenen Ganzen will sich "Soul of a Beast", bei dem angesichts des Schauplatzes Zürich auch die Vielsprachigkeit mit Deutsch, Französisch und einem auf die Dauer prätentiösen Off-Kommentar auf Japanisch irritiert, aber nicht fügen.
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