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75. Berlinale: Neues von Richard Linklater und Radu Jude

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi
"Blue Moon" von Richard Linklater und "Kontinental ´25" von Radu Jude im Wettbewerb der 75. Berlinale
"Blue Moon" von Richard Linklater und "Kontinental ´25" von Radu Jude im Wettbewerb der 75. Berlinale

Große Vielfalt kennzeichnet den Wettbewerb der Berlinale, aber auch kurz vor Ende gibt es noch keinen klaren Bärenfavoriten. Daran konnten auch Richard Linklater, der in "Blue Moon" dem Songwriter Lorenz Hart ein Denkmal setzt, und Radu Jude, der in "Kontinental ´25" erneut Kritik an der rumänischen Gesellschaft übt, nichts ändern.


Während das Songwriting-Team Rodgers und Hammerstein dank Musicals wie "Oklahoma!" (1943), "South Pacific" (1949), "The Kind and I" (1951) oder "Sound of Music" (1959) immer noch große Bekanntheit genießt, ist der Textautor Lorenz Hart (1985 – 1943), mit dem der Komponist Richard Rodgers von 1920 bis 1943 zusammenarbeitete, weitgehend in Vergessenheit geraten.


Wie Richard Linklater schon in "Me and Orson Welles" (2008) auf die jungen Jahre von Orson Welles blickte, zeichnet er nun – wiederum mit Drehbuchautor Robert Kaplow – ein bewegendes Porträt Harts. Wie in der "Before"-Trilogie beweist sich der Texaner dabei auch wiederum als Meister des Erzählens in Echtzeit und auf engstem Raum.


Zwar beginnt "Blue Moon" mit dem Tod Harts, doch danach liegt der Fokus ganz auf dem Premierenabend des Musicals "Oklahoma!" am 31. März 1943. Wenig begeistert von dieser Hymne auf das ländliche Amerika verlässt Hart (Ethan Hawke) vorzeitig die Vorstellung und begibt sich in die Bar Sardi´s, wo die Premierenfeier stattfinden soll.


Dort entwickelt sich ein Gespräch zwischen Hart und dem Barkeeper (Bobby Cannavale), dem Pianisten und dem Essayisten E. B. White. Der Songwriter thematisiert dabei nicht nur seine Homo- oder Bisexualität, sondern rechnet auch bissig mit dem trivialen und kitschigen Musical ab.


Gleichzeitig werden aber auch sein tiefer Schmerz darüber spürbar, dass Rodgers (Andrew Scott) mit einem anderen Partner zusammengearbeitet hat, und seine leidenschaftliche Liebe zur gerade mal 20-jährigen Elizabeth (Margaret Qualley), obwohl er ahnt, dass die junge Frau seine Gefühle nicht erwidern wird. Mit Eintreffen der Premierengäste kann Hart dann mit Rodgers direkt über die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit und mit Elizabeth über ihre Beziehung reden.


In der Konzentration auf die Bar klingt das nach abgefilmtem Theater, doch durch Kamerabewegungen sowie den Wechsel von nahen und weiten Einstellungen bleibt der Film immer im Fluss. Ein Vergnügen ist es den meisterhaften Dialogen bzw. den Monologen von Hart zu folgen, die um Freundschaft, Liebe und Kunst kreisen, und eindrücklich vermittelt Ethan Hawke, dem die anderen Schauspieler:innen großartig zuspielen, die Tragik des alkoholsüchtigen und zutiefst einsamen Songwriters.  


Während Linklater mit "Blue Moon" erneut seine Vielseitigkeit beweist, ist "Kontinental ´25", dessen Titel eine Hommage an Roberto Rossellinis "Europa ´51" ist, unverkennbar ein Film von Radu Jude. Wie schon im Berlinale Sieger "Bad Luck Banging or Loony Porn" (2021) und in "Do Not Exspect Too Much From the End of the World" blickt der Rumäne bissig auf sein Heimatland.


Dabei ist aber nicht nur an die Stelle des Furors der beiden genannten Filme eine deutlich ruhigere und geradlinigere Erzählweise getreten, sondern statt Bukarest ist hier das in Siebenbürgen gelegene Cluj der Schauplatz. Letzteres ermöglicht Jude auch das konfliktbeladene Verhältnis zwischen der dort lebenden ungarischen Minderheit und den Rumänen ins Spiel zu bringen.


Wohnungsnot und Armut werden sichtbar, wenn der Film fast dokumentarisch einem 60-Jährigen folgt, der leere Flaschen sammelt, den Müll durchwühlt, Passanten um Geld oder Arbeit bittet. Jetzt soll er auch noch aus dem dreckigen Kellerloch, in dem er wohnt, delogiert werden, weil eine westliche Immobilienfirma das Gebäude abreißen und ein Luxushotel bauen will. Doch als die Gerichtsvollzieherin mit mehreren Gendarmen zur Durchführung des Räumungsbeschlusses kommt, erhängt sich der Mann am Heizkörper.


So verschiebt sich der Fokus des Films auf die Gerichtsvollzieherin, die von Schuldgefühlen geplagt wird. Ihrem Vorgesetzten berichtet sie ebenso davon wie ihrem Mann, einer Freundin, ihrer Mutter, einem Priester und einem ehemaligen Studenten. Letztlich kann ihr aber niemand helfen und sie bleibt mit ihrem moralischen Dilemma allein.


Auf Textzitate und ein Spiel mit verschiedenen Ebenen, das Judes letzte Film kennzeichnet, wird hier weitgehend verzichtet. Einzelne Anspielungen wie auf "Schindlers Liste", Wim Wenders´ "Perfect Days" oder den Film noir "Detour" gibt es zwar auch, doch davon abgesehen, fängt Jude die einzelnen Begegnungen und Gespräche in langen statischen Einstellungen ein.


Deutlich zugänglicher und nüchterner als die letzten Filme Judes ist "Kontinental ´25" damit, aber immer noch werden nicht nur Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit oder der grenzenlose, kapitalistische Bauboom, von dem nur die Oberschicht profitiert, scharf kritisiert, sondern auch globale Realitäten wie das Ungarn Viktor Orbans oder die Ereignisse in Gaza und in der Ukraine werden angesprochen.  

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