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75. Berlinale: Michel Francos Kälte kontra Léonor Serrailles Empathie

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi

Aktualisiert: 23. Feb.

"Dreams" von Michel Franco und "Ari" von Léonor Seraille im Wettbewerb der 75. Berlinale
"Dreams" von Michel Franco und "Ari" von Léonor Seraille im Wettbewerb der 75. Berlinale

Michel Franco wirft in "Dreams" einen ebenso kalten wie bissigen Blick auf das Verhältnis der US-Amerikaner:innen zu den Mexikaner:innen. Léonor Serraille folgt dagegen in "Ari" mit großer Empathie einem jungen Mann, der nach Orientierung sucht.


In "The New Order" ließ Michel Franco die gesellschaftliche Spaltung in eine Eskalation der Gewalt münden, in "Memory" stellte er einer von traumatischen Kindheitserinnerungen verfolgten Frau einen an Demenz leidenden Mann gegenüber. Gegensätze prallen auch in "Dreams" mit einem jungen mexikanischen Balletttänzer und einer reichen US-Amerikanerin aufeinander.


Die Philanthropin hatte mit dem aus guten Verhältnissen stammenden jungen Mann, der in dem von ihr unterstützten Kulturprojekt in Mexico City tanzte, offensichtlich eine Affäre. Jetzt ist er illegal in die USA immigriert und besucht sie in San Francisco. Leidenschaftlich ist zwar ihre Beziehung, aber vor ihrer Familie und ihren Bekannten will sie sich doch nicht zu dem Mexikaner bekennen, sondern verheimlicht ihn.


Mag er auch den Aufstieg in die Ballettszene schaffen, so wird er von der US-Oberschicht doch nicht akzeptiert, sondern erscheint nun vielmehr als Konkurrent im Kampf um die Hauptrolle in einem Stück.


Ein Clou von "Dreams" besteht darin, dass Franco nicht von einem Mexikaner erzählt, der aus der Unterschicht stammt und aus wirtschaftlichen Gründen flieht, sondern von einem Mitglied der Oberschicht. Die Leidenschaft treibt ihn die USA, doch bald wird klar, dass die gesellschaftlichen Regeln stärker sind und die US-Amerikanerin ihre Komfortzone nicht verlassen will.


In eine Luxuswelt entführt so Franco diesseits und jenseits der Grenze. Er lässt seine Hauptdarstellerin Jessica Chastain in jeder Szene in einem neuen schicken Kleid oder Hosenanzug auftreten und rückt nicht nur ihre Luxuswohnung ebenso ausführlich ins Bild wie die vornehmen Theater in San Francisco, sondern auch seine Villa in Mexico-City.


Gleichwertig scheinen damit er und sie, dennoch wird am Ende dieses ebenso kühlen wie eleganten Film doch wieder ein klares Machtgefälle sichtbar.


In Opposition zu diesem kalten Blick steht die Empathie von Léonor Serraille, die schon in den ersten Bildern ihres auf 16-mm-Film gedrehten "Ari" spürbar wird. Hautnah ist die Kamera am Gesicht eines kleinen Jungen, während die Mutter ihm erklärt, wieso er den Namen Ari erhielt.


Der Titel ist hier Programm, denn der von Andranic Manet großartig gespielte 27-jährige Grundschullehrer ist in jeder Szene präsent und Groß- und Detailaufnahmen dominieren den Film.


Ehrlich bemüht ist er um seine Schüler:innen, doch seine ausladenden Ausführungen zu einem Gedicht über dessen Entstehungszeit und den Surrealismus gehen im Geschrei unter, bis er zusammenbricht. Während er von der Behörde krank geschrieben wird, kündigt er und besucht seinen Vater und mehrere Freunde.


Nicht viel passiert im Grunde, doch durch Aris Begegnungen bietet Serraille Einblick in unterschiedliche Lebenssituationen, wirft die Frage nach Glück und dem richtigen Leben auf. Da will eine Freundin lieber das Leben mit ihrer Geliebten in einer kleinen Wohnung genießen als zu arbeiten, während ein Jugendfreund durch Heirat zu Haus und Job gekommen ist.


Ari, in dessen Vergangenheit immer wieder kurze Rückblenden Einblick bieten, scheint sich dagegen vor allem nach mehr Menschlichkeit und Empathie zu sehnen und findet im Blick auf die Leben anderer wieder selbst zu Lebensmut.


So klein gehalten dieser Film auch ist, so bewegend ist er doch im Blick auf die langsame Entwicklung dieses zunächst so verlorenen und orientierungslosen jungen Mannes und wirft in der kleinen individuellen Geschichte zentrale Fragen nach der richtigen Lebensführung und nach Mitmenschlichkeit auf, ohne dass dies groß ausformuliert würde. – Ein echter Glücksfall und zumindest der Hauptdarsteller Andranic Manet darf schon als Preisanwärter gehandelt werden.



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