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AutorenbildWalter Gasperi

76. Locarno Film Festival: Vielfältige Mischung - Eine Vorschau


17 Filme konkurrieren beim 76. Locarno Film Festival vom 2. bis 12. August um den begehrten Goldenen Leoparden. Neben Newcomern finden sich im Line-up mit Lav Diaz, Radu Jude und Quentin Dupieux auch bekannte Namen. Auf der Piazza Grande wiederum darf man sich unter anderem auf Justine Triets Cannes-Sieger "Anatomie d´une chute" und Ken Loachs "The Old Oak" freuen. Aber auch die zahlreichen Nebenreihen und die Retrospektive, die dem mexikanischen Kino der 1940er bis 1960er Jahre gewidmet ist, versprechen zehn anregende und vielfältige Festivaltage.


Im Wettbewerb des Locarno Film Festivals stechen die großen Namen immer besonders heraus, denn insgesamt geben in der Regel Newcomer den Ton an. Heuer ist die Präsenz renommierter Regisseure aber auffallend groß. Denn neben dem philippinischen Locarno- und Venedig-Sieger Lav Diaz, der mit dem 215-minütigen "Essential Truths of the Lake" mit einem für diesen Regisseur geradezu erstaunlich kurzen Film eingeladen wurde, und dem rumänischen Berlinale-Sieger Radu Jude, der mit "Do Not Expect too Much of the End of the World" eine zweiteilige absurde Komödie präsentiert, findet sich im Line-up auch Quentin Dupieux, der mit "Yannick" seinem herrlich schrägen Werk wohl ein weiteres Mosaiksteinchen hinzufügen wird.


Gleichzeitig verweist dieses Trio auch schon auf die Vielfalt, die man bei diesem Wettbewerb erwarten darf. Denn einen größeren Kontrast als den zwischen den überlangen und dem Slow-Cinema zuzurechnenden Filmen von Diaz und den meist nur 70 oder 80 Minuten langen und knochentrocken Absurdes präsentierenden Filmen Dupieuxs kann man sich wohl kaum vorstellen.


Wenig lässt sich dagegen über die weiteren Konkurrenten um den Goldenen Leoparden sagen. Schon auf Locarno-Erfahrung verweisen kann immerhin der schweizerisch-portugiesische Regisseur Basil da Cunha, der vor vier Jahren mit "O Fim do Mundo" in den Wettbewerb eingeladen wurde und nun "Manga D´Terra" vorstellt.


Auffallend ist vielleicht die schwache Präsenz von Asien und Lateinamerika, die jeweils nur mit der iranisch-deutschen Produktion "Critical Zone" von Ali Ahmadzadeh und Eduardo Williams internationaler Koproduktion "El auge del humano 3" vertreten sind. Kein Novum ist dagegen in Locarno, dass die USA mit Bob Byingtons "Lousy Carter", in dessen Mittelpunkt ein Mann steht, der plötzlich mehr Risiken einzugehen beschließt, im Wettbewerb zumindest zahlenmäßig nur eine Nebenrolle spielen.


Auch Afrika fehlt im Wettbewerb ebenso wie Großbritannien, Skandinavien, Deutschland und selbst Frankreich ist nur mit Sylvain Georges "Nuit obscure – Au revoir ici, n´importe" vertreten. Raum bleibt damit für weniger bekannte Filmländer. Aus Israel kann man so "The Vanishing Soldier" von Dani Rosenberg entdecken und aus der Ukraine "Stepne" von Maryna Vroda.


Gespannt sein darf man auch auf "The Invisible Fight" des Esten Rainer Sarnet oder "Sweet Dreams" der niederländisch-bosnischen Regisseurin Ena Sendijarević. Dazu kommen Portugal mit "Home" von Leonor Teles, Spanien mit Laura Ferrés` "The Permanent Picture" und Griechenland mit Sofia Exarchous "Animal". Nicht fehlen dürfen in der italienischsprachigen Schweiz freilich auch Filme aus dem südlichen Nachbarland, aus dem heuer "Patagonia" von Simone Bozzelli und "Rossosperanza" von Annarita Zambrano eingeladen wurden.


Während man im Wettbewerb auf neue und aufregende filmische Ausdrucksweisen hoffen darf, wird das Abend-Programm der 8000 Zuschauer:innen fassenden Piazza Grande immer auf ein breites Publikum ausgerichtet. Mit Justine Triets Cannes-Sieger "Anatomie d´une chute" und "The Old Oak" von Ken Loach, der seit Jahrzehnten ein Stammgast am Lago Maggiore ist, konnten hier zwei fixe Highlights programmiert werden. Dazu kommen neun Weltpremieren, darunter zwei Erstlingsfilme.


Frankreich gibt dabei mit – zusätzlich zu "Anatomie d´une chute" – fünf Filmen ganz klar den Ton an. Aber auch zwei italienische Filme fehlen mit Edoardo Leos "The Tragedy of Othello by W. Shakespeare" und Laura Luchettis "La bella estate" nicht. Für andere Filmnationen bleibt daneben mit der serbischen Produktion "Guardians of the Formula" und dem australischen Film "Shayda" sowie dem südkoreanischen "Smugglers" und den beiden US-Filmen "Falling Stars" und "Theater Camp" recht wenig Platz.


Die Gelegenheit zu spannenden Entdeckungen bietet alljährlich auch der Parallel-Wettbewerb "Concorso Cineasti del presente", in dem heuer 15 Filme Weltpremiere feiern. Bekannte Namen gibt es hier freilich keine, sodass man sich einfach überraschen lassen und sich auf die Filme einlassen muss.


Wer ganz junge Talente entdecken will, ist wiederum mit der Sparte "Pardo di domani" bestens bedient, in der Nachwuchsregisseure kurze und mittellange Filme präsentieren. Bekannte Namen finden sich dagegen in der Schiene "Fuori concorso", in der unter anderem neue Filme von Barbet Schroeder, Bertrand Mandico und Denis Côté gezeigt werden.


Wesentliches Element des Locarno Film Festival ist aber auch die Verleihung von Ehrenpreisen, durch die bedeutende Filmschaffende ins Tessin gelockt werden. So wird der Taiwanese Tsai Ming-Liang am 6.8. vor der Piazza-Vorführung mit dem "Pardo alla carriera" ausgezeichnet. Die französische Produzentin Marianne Slot wird mit dem Raimondo Rezzonico Award geehrt, der Lifetime Achievement Award wird dem italienischen Produzenten Renzo Rossellini verliehen, zu dessen Ehren auch Fellinis "La citta delle donne" auf der Piazza gezeigt wird, und einen Ehrenleoparden erhält der US-Regisseur Harmony Korine, von dem "Gummo" und "Spring Breakers" gezeigt werden. Dazu kommt der Excellence Award für den britischen Schauspieler Riz Ahmed und der Vision Award für den mit zwei Oscars ausgezeichneten italienischen Editor Pietro Scalia ("JFK – Tatort Dallas", "Black Hawk Down").


Die Retrospektive bietet mit 36 Filmen Einblick in das wenig bekannte mexikanische Kino der 1940er bis 1966er Jahre, während die Sparte "Open Doors" auf das aktuelle lateinamerikanische Kino fokussiert. Dazu kommt das "Panorama Suisse" das mit einem guten Dutzend Filmen, die teils schon in den Schweizer Kinos liefen wie "Jill" oder "L´amour du monde", Einblick in das aktuelle eidgenössische Filmschaffen bietet.


Und schließlich gibt es auch heuer wieder die vom Schweizerischen Verband der Filmjournalistinnen und Filmjournalisten organisierte Semaine de la critque, in der wieder sieben handverlesene Dokumentarfilme gezeigt werden. Eröffnet wird diese Schiene mit Joerg Burgers schon bei der heurigen Grazer Diagonale uraufgeführtem "Archiv der Zukunft". Von dieser internationalen Premiere abgesehen dominieren aber Weltpremieren auch in dieser Sektion das Programm.


Weitere Informationen zum Festival finden Sie hier.

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