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  • AutorenbildWalter Gasperi

77. Locarno Film Festival: Arbeit am Genrekino

Aktualisiert: 17. Aug.

Starker Beginn des Wettbewerbs um den Goldenen Leoparden: Während die Spanierin Mar Coll in "Salve Maria" die Geschichte einer zunehmend überforderten jungen Mutter mit Thrillermomenten versetzt, erweist Christoph Hochhäusler mit seinem französischsprachigen "La mort viendra" dem Gangsterkino Jean-Pierre Melvilles seine Reverenz.


Hautnah dran an der jungen Mutter Maria ist Mar Coll in ihrem Spielfilm "Salve Maria". Auf Schritt und Tritt folgt sie all ihren Wegen, macht spürbar, wie sehr sie ihr Baby Eric zunehmend belastet, wenn es immer wieder schreit, unmittelbar nach dem Stillen bricht. Wenig Unterstützung erhält Maria von ihrem Partner Nico, der zwar Vaterkarenz angekündigt hat, diese aber immer wieder aus beruflichen Gründen aufschiebt.


Ein Rabe, der durch das defekte Fenster in die Wohnung eindringt und die sich schützend über das Baby legende Mutter attackiert, sorgt ebenso für ein Thrillermoment wie Alpträume vom aus dem Bett fallenden Baby. Aber auch mit der Musik und der Tonkulisse baut Coll Thrillerspannung auf, für die auch die junge Ana sorgt, die Maria im Babykurs kennenlernt und die sich ins Leben der von ihr bewunderten jungen Schriftstellerin einschleicht.


Dazu kommt auch noch, dass Maria in den Nachrichten von einer Mutter erfährt, die ihre beiden zehnmonatigen Babys ertränkt hat. Sie beginnt nicht nur über die Motive zu grübeln, sondern auch darüber zu schreiben und versucht schließlich die Kindsmörderin aufzuspüren und zu kontaktieren.


Dicht ist "Salve Maria", solange Coll weitgehend auf Maria, ihren Partner und das Baby fokussiert und in der Interaktion in der engen Wohnung den Stress und die sich steigernde Belastung spürbar macht. Wie sie dabei dieses Mutterporträt mit Thrillermomenten auflädt, beeindruckt. An Intensität und Spannung verliert dieser Spielfilm erst gegen Ende, wenn Maria aus diesem Alltag ausbricht und in die Berge fährt, um die Kindsmörderin zu finden, und auch der Epilog wirkt notdürftig angeklebt.


Während Coll so Sozialdrama und Thriller verbindet, orientiert sich Christoph Hochhäusler in "La mort viendra" ganz am Gangsterkino Jean-Pierre Melvilles. Mit der Verhaftung des Kuriers eines Gangsterbosses, einer Geschäftsverhandlung zwischen dem Gangsterboss und seinem Partner über die Errichtung eines VR-Erotik-Centers und der Ermordung des Kuriers, der mit einer Fußfessel aus der Haft entlassen wurde, wirft Hochhäusler das Publikum mitten ins Geschehen hinein.


Unübersichtlich ist dieser Auftakt, doch langsam werden sich die Zusammenhänge klären, wenn der Gangsterboss Mahr die Auftragskillerin Tez beauftragt, den Mörder des Kuriers aufzuspüren. Gleichzeitig führt Hochhäusler vom Beginn an mit den Blicken des Kuriers in seinen Rückspiegel einen Diskurs über das Sehen ein, der mit Giuseppe Crespis Bild "Hekabe blendet Polymestor" ebenso fortgesetzt wird wie mit der blinden Louise, der Ex-Frau des Gangsterbosses, und einer starken Barszene, in der die Killerin Louise die Frauen an der Bar beschreiben muss, fortgesetzt wird.


Vor allem ist der von Kameramann Reinhold Vorschneider stimmungsvoll in dunkle Nachtbilder getauchte Film aber eine Verbeugung vor den Gangsterfilmen Jean-Pierre Melvilles. Wie bei diesem Meisterregisseur geht es auch hier um brüchige Allianzen zwischen Gangstern, um Verrat und ganz entsprechend des Titels "La mort viendra" um Vergänglichkeit und die Unausweichlichkeit des Todes.


Um restlos zu überzeugen, setzt Hochhäusler aber doch zu sehr auf die Arbeit mit Versatzstücken des klassischen Gangsterkinos und bietet zu wenig Neues, doch stilvolle und spannende Unterhaltung bietet diese kühle Hommage dennoch.



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