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  • AutorenbildWalter Gasperi

77. Locarno Film Festival: Freiwilliges Einsiedlerleben und Einsamkeitsstudie

Aktualisiert: 17. Aug.

Der britische Künstler und Filmemacher Ben Rivers präsentiert im Wettbewerb von Locarno mit "Bogancloch" einen Hybriden aus Experimentalfilm und Dokumentarfilm, während das italienische Regieduo Silvia Luzi und Luca Bellino in "Luce" hautnah einer einsamen jungen Frau folgt.


Schon in seinem Kurzfilm "This Is My Land" (2007) und seinem ersten Langfilm "Two Years at Sea" (2011) hat sich der britische Künstler und Filmemacher Ben Rivers dem ehemaligen Seemann Jake Williams gewidmet, der sich in den schottischen Highlands in der titelgebenden Region "Bogancloch" zurückgezogen hat und dort in der Wildnis seit Jahrzehnten ein einfaches Einsiedlerleben führt.


In seinem neuen Film dokumentiert Rivers nochmals den Alltag von Williams im Wechsel der Jahreszeiten, doch mit einem klassischen Dokumentarfilm hat "Bogancloch" nichts zu tun, ist vielmehr ein künstlerisches Experiment. Gesprochen wird fast nichts, auf jeden erklärenden Kommentar wird verzichtet. Wichtiger als die Alltagsschilderung scheint Rivers fast das Spiel mit dem Filmmaterial.


Die grobkörnigen, schwarzweißen 16-mm-Aufnahmen wecken so immer wieder Erinnerungen an die Stummfilmzeit, auch mit gezielt eingefügten Filmfehlern wird der Film auf alt getrimmt. Dazu sorgen vereinzelt eingeschobene Farbbilder, mal vom jungen Jake Williams, mal von einer leuchtend bunten Herbstlandschaft für Brüche.


Aber auch mit Schwarzblenden zwischen einzelnen Szenen gliedert Rivers seinen Film, setzt Pausen zwischen den Momentaufnahmen. In endlos langen ruhigen Einstellungen, die Geduld verlangen, wird punktuell Einblick in dieses abgeschiedene Leben fern der modernen Welt geboten. Der Bogen spannt sich vom Aufwachen im Wohnwagen bis zu einer Fahrt mit Skiern durch die Schneelandschaft und einem akribisch geschilderten Bad in einer in der verschneiten Landschaft stehenden Wanne, deren Wasser durch ein Feuer erhitzt wird. Andere Menschen kommen nur ins Bild, wenn Williams Grundschüler:innen einen Vortrag hält oder an einem Lagerfeuer, das als einzige Lichtquelle fungiert und nur die Gesichter erhellt, mit anderen Schotten ein Volkslied singt.


Ziemlich singulär steht dieser Film da, hat mit traditionellem Kino nichts mehr zu tun, ist vielmehr ein Kunstprojekt, das freilich im Wettbewerb von Locarno auch seine Berechtigung hat.


Im Vergleich dazu klassisch erzählt ist Silvia Luzis und Luca Bellinos "Luce", bietet aber andererseits durch den Verzicht auf Erklärungen viel Raum für Spekulationen und widersetzt sich einer zwingenden Interpretation.


Hautnah folgt das Regie-Duo der gut 20-jährigen Costa (Marianna Fontana), die die Kamera immer wieder in Großaufnahme erfasst, während das Umfeld über weite Strecken ausgespart bleibt. Schon bei der Hochzeitsfeier am Beginn steht sie abseits und blickt bedrückt. Als ihre Tante Erinnerungen an ihre Erstkommunion auffrischen will, wimmelt Costa sie ab. – Etwas muss damals vorgefallen, doch was genau lassen Luzi / Bellino offen.


Während sie dem etwa 30-jährigen Hochzeitsfotografen, der sich für sie interessiert, einen Korb gibt, empfindet sie Sympathie für einen deutlich älteren Schneider von Lederhandschuhen. Intensivere Beziehung baut sie aber zu einem anonymen Anrufer auf, der zunächst am Handy nur schwer atmet, nach dessen Anrufen sich Costa aber bald zu sehnen beginnt. Offen bleibt, wer dieser Mann ist, macht aber sichtbar, dass sich die junge Frau einerseits nach dem abwesenden Vater sehnt, andererseits aber auch ein Problem mit ihm hat. – Wurde sie einst von ihm missbraucht?


Dicht vermitteln Luzi / Bellino, unterstützt von der starken Hauptdarstellerin Marianna Fontana, die Einsamkeit ihrer Protagonistin, deren stärkste Bezugsperson ihre Katze zu sein scheint. Zeit lässt sich das Regie-Duo auch, um Costas monotonen Job am Fließband in einer Lederfabrik zu zeigen, doch im Vagen und der Beschränkung auf Andeutungen lässt "Luce" auch unbefriedigt zurück.




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