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  • AutorenbildWalter Gasperi

77. Locarno Film Festival: Spannungsarme Geschichtsklitterung als Eröffnung

Aktualisiert: 17. Aug.

Mit Gianluca Jodices Historienfilm "Le déluge", in dem es um die letzten Monate im Leben von Ludwig XVI. und seiner Gattin Marie Antoinette geht, startete das 77. Locarno Film Festival. Doch wohl nur der Umstand, dass die beiden Hauptdarsteller:innen Melanie Laurent und Guillaume Canet am Eröffnungsabend mit dem Davide Campari Excellence Award erklärt diese Programmierung.


Dass zur Preisverleihung an Melanie Laurent und Guillaume Canet auch ein neuer Film mit den beiden französischen Schauspieler:innen gezeigt werden sollte, ist einsichtig, aber vielleicht hätte man "Le déluge" nicht gerade als Eröffnungsfilm auf der Piazza Grande programmieren sollen. Immerhin setzt man mit dem Auftakt ein Zeichen und in diesem Fall nicht unbedingt eines, das Lust auf Kino macht.


Irritation löst vor allem die Haltung des Regisseurs Gianluca Jodice zum französischen König und seiner Gattin aus. Denn nicht erst wenn am Ende kurz vor der Hinrichtung Ludwig XVI. ein Wolkenbruch losbricht und der Himmel förmlich zu weinen scheint, kommt der reaktionäre Charakter dieses Historienfilms ans Licht. Schon zuvor zeichnet Jodice Ludwig XVI. und seine Gattin Marie Antoinette als bedauernswerte Opfer eines barbarischen Pöbels, der das Herrscherpaar im Tour du Temple gefangen hält.


Ganz auf diese letzten Monate in der Haft, wohin das Königspaar mit seinen vier Kinder nach dem Sturm auf die Tuilerien am 13. August 1792 gebracht wurde, und weitgehend auf dieses Gefängnis konzentriert sich die Handlung. Einerseits schildert Jodice die Demütigungen, denen die Herrscherfamilie ausgesetzt ist, wenn sie in einem großen Saal am Boden schlafen muss, verhöhnt wird von einem Bürger, der eine Heilung durch den König vorspielt und diesen verlacht, schließlich auch ohne Besteck essen muss und voneinander isoliert wird, andererseits blickt er auf das unterschiedliche Verhalten von Ludwig XVI. und Marie Antoinette.


Während er als schwacher König gezeichnet wird, der sich in die Situation fügt, immer das Positive sehen und Hoffnung verbreiten will, begehrt sie gegen die Schikanen auf. In ihrer Haft im Temple kann man auch einen Reflex auf die soziale Isolation der Menschen in Zeiten des Lockdowns während der Covid-19-Pandemie sehen, doch zum beklemmenden Drama wird "La déluge" dadurch nicht.


Ganz auf seine beiden Hauptdarsteller:innen setzt Jodice. Doch mögen Melanie Laurent und Guillaume Canet auch noch so überzeugend spielen – Leben können sie diesem zähen Historiendrama doch nicht einhauchen. Viel zu statisch ist dazu die Inszenierung und trotz ausgeprägtem Stilwillen und formaler Geschlossenheit durch die Dominanz von kalten Blau- und Grautönen und die kahlen Räume kommen kaum Atmosphäre und Spannung auf.


Ein netter Einfall ist zwar, wie der König mit einem Märchen, das er in einer Vorform des Kinos erzählt, seine Familie aufheitern will, doch es bleibt eben bei diesem Einfall, der nicht weiterentwickelt wird. Spannungsarm schleppt sich "La déluge", dessen Titel "Die Überschwemmung" sich wohl auf das Volk beziehen soll, das die Monarchie wegschwemmt, dahin, bietet weder viel fürs Auge und erstaunt oder verstört inhaltlich.


An sich durchaus spannend ist es ja aus Sicht der inhaftierten Familie von der Französischen Revolution zu erzählen und außer Frage steht, dass die Revolution auch Terror mit sich brachte, doch wie hier die Königsfamilie als Opfer inszeniert wird, ist doch reaktionäre Geschichtsklitterung und ignoriert, dass dieser bahnbrechende Wendepunkt in der Weltgeschichte auch den Sturz einer absolutistischen Herrschaft und die Deklaration der Menschenrechte mit sich brachte und das bürgerliche Zeitalter einleitete.

 


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