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  • AutorenbildWalter Gasperi

77. Locarno Film Festival: Triumph fürs litauische Kino und für Kurdwin Ayub

Aktualisiert: 18. Aug.

Mit dem Goldenen Leoparden für Saulė Bliuvaitės Coming-of-Age-Drama "Akiplėša" ("Toxic") sowie dem Preis für die beste Regie und das beste Ensemble für Laurynas Bareišas "Seses" ("Drowning Dry") ist das litauische Kino der große Gewinner des 77. Locarno Film Festival. Aber auch "Mond" der österreichisch-kurdischen Regisseurin Kurdwin Ayub gehört mit dem Spezialpreis der Jury sowie drei weiteren Preisen von unabhängigen Jurys zu den großen Sieger:innen.


Bekannte Namen wie der Chinese Bing Wang, der den 227-minütigen Dokumentarfilm "Youth: Hard Times" im Wettbewerb zeigte oder der Brite Ben Rivers, der mit "Bogancloch" einen experimentellen Dokumentarfilm oder auch ein filmisches Kunstprojekt präsentierte, ließ die von Jessica Hausner geleitete fünfköpfige Jury unberücksichtigt und entschied sich mit Saulè Bliuvaités Coming-of-Age-Drama "Akiplėša" ("Toxic") für ein Erstlingswerk, das gleichzeitig auch noch den Preis für das beste Debüt und den Preis der Ökumenischen Jury gewann.


In eine triste Industriebrache, in der Erwachsene und Jugendliche kaum Perspektiven haben, wirft die Litauerin das Publikum. Große Hoffnungen setzen hier zwei Teenager in eine Model-Schule, doch die Organisatorin verlangt einerseits für ein Fotoshooting ein Extra-Honorar, treibt andererseits die Teilnehmerinnen an, genau auf ihr Körpergewicht zu achten.


Um mithalten zu können, lassen sich die beiden Protagonistinnen so immer weiter treiben, lassen einerseits auf Essensverweigerung bald die Einnahme von Tabletten mit Bandwurmeiern folgen und suchen andererseits nach Möglichkeiten Geld aufzutreiben. Ein harsches Drama von tristem Leben und Traum vom großen Erfolg ist das, bleibt aber in der Aussparung eines konkreten sozialen Hintergrunds doch auch recht vage.


Spannend anzusehen, aber auch so überkonstruiert, dass sich das Interesse von den eigentlichen Themen auf die Konstruktion des Films verschiebt, ist Laurynas Bareišas "Seses" ("Drowning Dry"), der mit dem Regiepreis und dem Preis für das Ensemble gleich doppelt ausgezeichnet wurde.


Auffallend ist, dass die Jury mit ""Akiplėša" ("Toxic") und mit Kurdwin Ayubs "Mond", der den Spezialpreis der Jury gewann, gleich zwei Filme auszeichnete, in deren Zentrum junge Frauen stehen, die vom Ausbruch aus tristen und beengenden Lebensverhältnissen träumen.


In der Auszeichnung als beste Darstellerin für Hong Sangsoos Stammschauspielerin Kim Minhee darf man auch eine Würdigung ihres koreanischen Regisseurs sehen, der in "Suyoocheon" ("By the Stream") wieder einmal in langen, weitgehend statischen halbnahen Einstellungen Menschen beim Essen, Trinken und Reden zusieht und dabei auch Brüche in den Beziehungen aufdeckt.


Etwas überraschend ist doch einerseits die Verleihung des Pardo Verde an Ali Eddine Slims Thriller "Agora" und nicht an Pia Marais´ umweltpolitisch deutlich engagierteren "Transamazonia" und dass Ramon Zürchers meisterhaft inszeniertes und großartig gespieltes Familienporträt "Der Spatz im Kamin" bei der Preisverleihung leer ausging.


Sehr vielfältig präsentierte sich insgesamt der Wettbewerb, bot von Dokumentarfilmen über chinesische Textilarbeiter ("Youth: Hard Times"), der von der Jury der Filmkritiker:innen mit dem FIPRESCI-Preis, ausgezeichnet wurde, und den Bürgerkrieg im Libanon ("Green Line"), der mit dem MUBI Award ausgezeichnet wurde, über den Kunstfilm "Bogancloch" bis zu Genrekino mit Christoph Hochhäuslers Gangsterfilm "La mort viendra" und klassischem Arthouse-Kino ziemlich alles, ließ aber auch herausragende Werke weitgehend vermissen.


Konnte man so mit dem Wettbewerb durchaus leben, so erwies sich die Programmierung der 8000 Zuschauer:innen fassenden Open-Air-Vorführungen auf der Piazza Grande ein weiteres Mal als Schwachpunkt des Festivals. Zwar gab es hier mit Claude Barras´ Animationsfilm "Sauvages" und dem spanischen Familiendrama "Rita", in dem Paz Vega sehr einfühlsam ganz aus Kinderperspektive von häuslicher Gewalt erzählt, zwei kleine Perlen und mit Klaudia Reynickes "Reinas", der den Prix du Public gewann, einen stimmigen Coming-of-Age-Film sowie mit Mohammad Rasoulofs "The Seed of a Sacred Fig" einen Cannes-Wettbewerbsbeitrag, doch davon abgesehen fehlten einfach richtig große Filme für diese große Bühne.


Echtes Highlight des Festivals war dafür wieder einmal die Retrospektive, die dem Studio Columbia Pictures gewidmet war. Hier konnte man von Irving Lerners kühler Killer-Studie "Contract by Murder" (1958) bis zu Maxwell Shanes "The Glass Wall" (1953), in dem ein ungarischer Holocaust-Überlebender in New York eine Kriegsbekanntschaft finden muss, um Asyl zu bekommen, immer wieder spannende Entdeckungen machen.






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