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AutorenbildWalter Gasperi

A Hero - Die verlorene Ehre des Herrn Soltani


Ist Rahim ein ehrenhafter Mann, der einen Goldfund zurückgegeben hat, oder hat er die Geschichte nur zwecks Selbstinszenierung erfunden? – Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen und meisterhaft verdichtet Asghar Farhadi sukzessive Fragen nach Moral, Ehre und Stolz, aber auch nach medialer Inszenierung und Macht sozialer Medien.


Weil er einem Gläubiger die Schulden nicht zurückzahlen kann, sitzt der etwa 40-jährige Rahim Soltani (Amir Jadidi) im Gefängnis. Ein zweitägiger Freigang führt ihn zu den monumentalen, in den Fels gehauenen Gräber der persischen Könige Xerxes und Dareios am Rande der südiranischen Stadt Schiras. In scharfem Kontrast steht diese – zumindest in der Überlieferung – ruhmreiche persische Vergangenheit zur Durchschnittlichkeit von Rahim.


Wenn er hier endlos lang auf einem Baugerüst hochsteigt, um seinen Schwager aufzusuchen, verweist dies auch auf seinen kommenden Aufstieg. Rahim plant nämlich seine Schulden zurückzuzahlen und so die Entlassung aus der Haft zu erreichen. Doch schon in der folgenden Szene sieht man die neue Freundin (Sahar Goldust) des geschiedenen Mannes lange eine Treppe hinabsteigen, sodass auch ein tiefer Fall zu erwarten ist.


Entscheidende Rolle spielt diese Freundin bei Rahims Plan, steuert sie doch die Goldmünzen bei, mit denen zumindest ein Teil der Schulden beglichen werden soll. Dass diese ihr nicht gehören, sondern sie sie zusammen mit einer Handtasche gefunden hat, wird man erst später erfahren. – eine Leerstelle bleibt so dieser Goldfund, der zum zentralen Movens der Handlung wird.


Als Rahims Schwester die Münzen entdeckt und ihren Bruder des Diebstahls verdächtigt, meldet sich Rahims Gewissen und er beschließt den Fund zurückzugeben. Er plakatiert den Münzfund und bald meldet sich auch eine Frau, die die Tasche beschreiben und die Zahl der Münzen angeben kann.


Weil die Frau Rahim deswegen im Gefängnis angerufen hat, wird seine edle Tat auch dort publik. Gefundenes Fressen ist das für die Gefängnisleitung, die den Häftling instrumentalisiert und ihn medienwirksam als guten Menschen und Musterbeispiel für Resozialisierung präsentiert, um von Missständen wie Selbstmorden in der Haft abzulenken.


Auch ein Job bei der Stadt wird Rahim in Aussicht gestellt, doch der dortige Beamte hegt nach Posts auf den sozialen Netzwerken Zweifel an dieser guten Tat und fordert ihn auf, diese zu beweisen. Weil aber die angebliche Besitzerin unauffindbar bleibt, präsentiert er der Stadtverwaltung seine Freundin als Eigentümerin der Münzen.


Kleine – teils auch von außen befohlene – Lügen und Missverständnisse treiben Rahim so immer tiefer in die Bredouille. Denn auch der Gläubiger, der schon von Anfang an größte Zweifel am Anstand Rahims hegte, fordert mit zunehmend größerem Nachdruck das geschuldete Geld zurück. Und auch ein Wohltätigkeitsverein, der zunächst medienwirksam für Rahim sammelt, mischt mit, hegt Misstrauen und möchte die Spenden lieber für den Aufschub der Hinrichtung eines zum Tode Verurteilten verwenden. – Ist es hier nicht Rahims Pflicht, von sich aus auf das Geld zu verzichten und so das Leben des verurteilten Mörders zu retten?


Wie schon in "Nader und Simin – Eine Trennung" oder "The Salesman" dreht Asghar Farhadi meisterhaft an der Schraube der Spannung und Verunsicherung. Ruhig beginnt sein Drama zunächst mit langen Plansequenzen. Doch zunehmend schneller wird die Schnittfrequenz, hektischer und angespannter die Stimmung, bis es zu physischen Auseinandersetzungen kommt, die mit naher und unruhiger Handkamera gefilmt werden.


Meisterhaft durchleuchtet der zweifache Oscar-Preisträger auch die unterschiedlichen Beziehungsfelder von der Familie über die Gefängnisleitung und die Stadtverwaltung bis zum Wohltätigkeitsverein und zum Gläubiger, die alle ihre eigenen Interessen verfolgen. Dicht zurrt er diese Bereiche in bestechender Dramaturgie zusammen, steigert vom klaren Beginn an sukzessive die Unsicherheit speziell gegenüber Rahim: Ist er naiv in die Fallen medialer Vermarktung getappt oder ist er raffiniert?


Wie in seinen früheren Filmen überlässt Farhadi die Entscheidung über seinen Protagonisten dem Publikum. Indem vorwiegend aus seiner Perspektive erzählt wird, hegt man zwar eher Sympathien für den zumal am Beginn meist nett lächelnden Mann, doch sicher ist hier nichts. Durchaus möglich ist auch, dass im Grunde der Gläubiger Recht hat, weil er den durchtriebenen Rahim durchschaut hat. Daran ändert auch nichts, dass Rahim am Ende eine Entscheidung trifft, für die er einen hohen Preis zahlt, mit der er aber seinen Anstand und seine Würde zurückgewinnt.


Aber nicht nur um Stolz, Ehre und um Angst vor Schande geht es hier, sondern auch um Instrumentalisierung zunächst des Häftlings, den man als Aushängeschild präsentieren kann, und dann auch von Rahims sprachbehindertem Sohn. Aber auch die Macht der sozialen Medien wird aufgedeckt, wenn mit einem Post oder Video ein Mensch zum Helden und Ehrenmann aufgebaut, kurz darauf aber auch seine Glaubwürdigkeit diskreditiert und sein Ansehen zerstört werden kann: Sehr kurzlebig ist dieser Ruhm freilich im Vergleich zu dem der persischen Könige, deren Felsengräber am Beginn von "A Hero" stehen.


A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani Frankreich / Iran 2021 Regie: Asghar Farhadi mit: Amir Jadidi, Mohsen Tanabandeh, Sahar Goldoust und Saleh Karimai Länge: 128 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Do 12.5., 20 Uhr

FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 8.6, 18 Uhr + Do 9.6., 19.30 Uhr



Trailer zu "A Hero - Die verlorene Ehre des Herrn Soltani"



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