Jesse Eisenberg schickt zwei ungleiche Cousins mit einer Reisegruppe auf eine Holocaust-Erinnerungstour durch Polen, wo sie ihrer kürzlich verstorbenen Großmutter gedenken wollen: Feinfühlig gespielte, warmherzige Tragikomödie, die bei allem Witz auch berührend nicht nur persönliche Probleme auslotet, sondern auch an die Tragödie des Genozids an den Juden erinnert.
"A Real Pain" erinnert frappant an Julia von Heinz´ letzten Herbst angelaufene Tragikomödie "Treasure – Familie ist ein fremdes Land". Sucht dort ein in die USA emigrierter KZ-Überlebender mit seiner Tochter die Orte seiner polnischen Kindheit auf, so wollen in "A Real Pain" zwei ungleiche Cousins das einstige Haus ihrer Großmutter besichtigen. Während von Heinz aber holprig zwischen Komödie und Drama pendelt trifft Jesse Eisenberg in seiner zweiten Regiearbeit jeden Ton.
Das mag auch daran liegen, dass sein Film im Gegensatz zu dem von Julia von Heinz nicht von einem Roman, sondern von persönlichen Erinnerungen an eine 20 Jahre zurückliegende Polen-Reise an die Orte der Kindheit seiner Tante inspiriert ist. Wie sehr ihn das Thema beschäftigte, zeigt sich auch daran, dass er sich damit schon im Theaterstück "The Revisionist", das 2013 als Off-Broadway-Stück Premiere feierte, mit dem Thema auseinandersetzte.
Wie "Treasure" konzentriert sich auch "A Real Pain" ganz auf die Polenreise, setzt ein mit dem Abflug der Cousins David (Jesse Eisenberg) und Benji (Kieran Culkin) von New York und endet mit der Trennung nach dem Rückflug.
Ihr unterschiedlicher Charakter tritt dabei schon in den ersten Szenen zu Tage. Dem hektischen und zwangsneurotischen David steht der scheinbar coole und lockere Benji gegenüber, der sich nicht um Regeln schert und sich beispielsweise ein Päckchen Marihuana nach Polen schicken lässt. Sukzessive tiefer lässt Eisenberg aber im Laufe der Reise und im Kontakt mit den anderen Mitgliedern der Reisegruppe blicken.
Da erfährt man nicht nur, dass die beiden Cousins miteinander aufgewachsen sind und ein enges Verhältnis hatten, sondern spürt auch, wie sehr sie sich im Lauf der Jahre entfremdet haben, wie unterschiedliche Lebenswege sie auseinanderdriften ließen. Hinter der Zurückhaltung Davids wird trotz Familie mit Frau und kleinem Sohn eine Unzufriedenheit über Job und monotonen bürgerlichen Alltag sichtbar, während Benji mit seinem offensiven Auftreten seine schweren psychischen Probleme zu überspielen versucht.
Während sein Verhalten David meist peinlich ist, reißt er mit seinem Schwung die Reisegruppe immer wieder mit, verstört sie aber auch teilweise mit seiner Direktheit. Doch gerade in seiner Offenheit und Emotionalität gewinnt er im Gegensatz zum introvertierten David auch die Sympathien der Gruppe und des Reiseleiters, obwohl er diesen auch scharf kritisiert.
Großartig harmonieren Jesse Eisenberg und Kieran Culkin als ungleiches Duo und Culkin lässt hinter dem Witz und Schwung Benjis immer seine Verlorenheit und psychischen Probleme durchschimmern. Souverän hält Eisenberg dabei auch die Balance zwischen Witz und Tragik und verknüpft das Porträt der Cousins sicher mit der Gedenkreise an ihre Großmutter.
Unaufgeregt, aber bewegend erinnert er dabei mit den Stationen dieser Reise auch an den Schrecken des Holocausts. Ganz still wird der Film so beim Besuch des ehemaligen KZ Majdanek. Raum lässt Eisenberg hier dem Schmerz und der Trauer. Aber er macht mit einem Mitreisenden, der den Völkermord in Ruanda überlebt hat und anschließend zum Judaismus konvertiert ist, auch bewusst, dass die Gräuel der NS-Zeit nicht nur etwas Vergangenes sind, sondern in ähnlicher Form auch heute noch vorkommen.
Ohne etwas zu verharmlosen, wird diesem großen historischen Schmerz der persönliche von Benji, aber auch der frisch geschiedenen Marcia gegenübergestellt. Ein kleines Wunder ist dabei schon, wie es Eisenberg gelingt, zwar von den schweren Dingen des Lebens zu erzählen, aber gleichzeitig Leichtigkeit und Optimismus zu verbreiten.
Wohl nicht zuletzt aufgrund Eisenbergs persönlichem Bezug zum Thema ist sein Blick gleichermaßen feinfühlig wie warmherzig. Aber auch die Klaviermusik von Frédéric Chopin und nicht zuletzt die Kameraarbeit von Michał Dymek, der vor allem das ländliche Polen in lichtdurchflutete Sommerbilder taucht, tragen zur trotz allem lebensbejahenden und hoffnungsvollen Atmosphäre dieses sehr menschlichen und mit 90 Minuten angenehm kurzen Kleinods bei.
A Real Pain
USA 2024 Regie: Jesse Eisenberg mit: Jesse Eisenberg, Kieran Culkin, Jennifer Grey, Will Sharpe, Kurt Egyiawan, Liza Sadovy, Daniel Oreskes Länge: 91 min.
Läuft jetzt in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und im Skino Schaan.
Trailer zu "A Real Pain"
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