Wie kam es dazu, dass der aufstrebende Basketballer Michael Jordan 1984 einen Vertrag beim Sportartikelhersteller Nike unterschrieb? – Ben Affleck zeichnet mit Verve und temporeich die Geschichte nach, lässt aber Ambivalenzen vermissen.
Der Vorspann gibt das Tempo vor: In rascher Abfolge von Archivmaterial zur Wiederwahl Ronald Reagans, zu Prinz Charles und Lady Diana mit ihrem soeben geborenen zweiten Kind Harry, zum Kinohit "Ghostbusters" und zahlreichen weiteren Details lässt Ben Affleck ins Jahr 1984 eintauchen.
Die Dynamik dieses Auftakts hält "Air – Der große Wurf", der in den USA schon als Oscar-Anwärter für 2024 gehandelt wird, fasst über die ganzen 112 Minuten durch. Nur gegen Ende gibt es kurze ruhigere Momente. Mit Inserts über die Präsenz der drei großen Sportartikelhersteller Converse, Adidas und Nike in der amerikanischen Basketballliga NBA verengt sich der Fokus vom allgemeinen Blick auf die Zeit auf das Thema des Films.
Nike kann in diesem Wettkampf mit der Konkurrenz nicht mithalten. Während man beim Absatz von Joggingschuhen Marktführer ist, braucht man im Bereich des Basketballs dringend ein werbewirksames Zugpferd. Aufgrund der geringen Erfolge in diesem Segment ist aber das Marketingbudget begrenzt, sogar eine Schließung der Abteilung droht.
Im Zentrum steht der Nike-Markenchef Sonny Vaccaro (Matt Damon), der in Michael Jordan den kommenden Basketballstar sieht, den Nike unbedingt unter Vertrag nehmen muss. In klassischen Etappen erzählt Ben Affleck, wie dies schließlich gelingt. Am Beginn steht Vaccaros zündende Idee bei der wiederholten Betrachtung eines Basketball-Videos mit Jordan, dann muss die Idee den Entscheidungsträgern in der Firma schmackhaft gemacht werden, Michael Jordans Mutter, die für ihren Sohn entscheidet, müssen die Vorteile eines Vertrags mit Nike vermittelt werden, und schließlich muss noch ein revolutionärer Schuh entwickelt werden.
Eine perfekt geölte Kinomaschine ist dieser Film. Keinen Leerlauf gibt es. Mit dem von Sunnyboy Matt Damon gespielten Sonny Vaccaro als in jeder Szene präsentem Zentrum des Films treibt Ben Affleck, der selbst den Nike-Gründer und CEO Phil Knight spielt, rasant voran. Der Fokus liegt ganz auf dem geplanten Deal, jedes Privatleben bleibt mit Ausnahme eines kurzen Dialogs, in dem Nikes Marketing Vize-Präsident Rob Strasser (Jason Bateman) über seine Tochter spricht, außen vor.
Ein weißes Blatt bleibt so auch Vaccaro, über den man nur erfährt, dass er nicht besonders sportlich ist – und dennoch fesselt "Air – Der große Wurf" und bietet beste Kinounterhaltung. Denn auch wenn man Vaccaro keine Backstory hat, so reißt doch mit, wie und mit welchen Strategien er sich für die Verpflichtung Jordans einsetzt.
Drive und großes Tempo entwickelt der Film, der auf Basketballszenen beinahe völlig verzichtet, dabei auch durch die rasanten Rededuelle Vaccaros mit Knight, Nike Vize-Präsident Howard White (Chris Tucker) oder Jordans Agent David Falk (Chris Messina). Oscarreif sind dabei vor allem die Darbietungen von Tucker und Messina.
Dazu kommt die Kameraarbeit des dreifachen Oscar-Preisträgers Robert Richardson, der immer wieder mit dynamischen Fahrten durch das Großraumbüro und Zurückweichen vor dem vorwärtsschreitenden Vaccaro dessen Entschlossenheit vermittelt oder in langer Kreisbewegung um die diskutierenden Entscheidungsträger von Nike diese zu einem eingeschworenen Team zusammenschweißt.
Gleichzeitig pusht der Soundtrack mit 1980er Jahre Hits von "Money for Nothing" von den Dire Straits über "All I Need Is a Miracle" von Mike and the Mechanics und "Time After Time" von Cindi Lauper bis zu Bruce Springsteens "Born in the USA" die Stimmung.
Schnörkellos treibt Affleck die Handlung voran und bringt in diesen über lange Zeit reinen Männerfilm mit Jordans Mutter Deloris (Viola Davis) schließlich auch eine starke Frau. Während ihr Mann im Garten den Wagen repariert und Sohn Michael nur in wenigen Szenen von hinten sichtbar ist, trifft sie die Entscheidungen und lenkt die Geschäfte. Wie die Diskussionen Vaccaros in der Nike-Zentrale gehören auch seine Gespräche mit Mrs. Jordan zu den Höhepunkten des Films.
Nicht fehlen darf schließlich aber auch mit dem Designer Peter Moore (Matthew Maher) ein genialer Tüftler, der den revolutionären Schuh Air Jordan entwickelt und dabei auch Regeln der NBA bricht. Denn "Air – Der große Wurf" zeichnet nicht nur die "wahre Geschichte" nach, sondern erzählt im Kern vor allem von der Vision eines Mannes und den Regelbrüchen die nötig sind, um diese Vision Realität werden zu lassen.
Die Regeln bricht nämlich Vacarro einerseits, wenn er sich dafür einsetzt das ganze Marketing-Budget in Jordan zu investieren und nicht auf mehrere Spieler aufzuteilen, andererseits, wenn er Jordans Agenten übergeht und vom Firmensitz in Beaverton, Oregon nach North Carolina fliegt, und dort unangemeldet bei der Familie Jordan auftaucht und mit der Mutter zu verhandeln beginnt.
So mitreißendes, leichthändig und souverän Spannung und Witz mischendes Kino dieser Sportmanagement-Film, der auch ein Werbefilm für Nike ist, aber auch bietet, so ist doch nicht zu übersehen, dass Ambivalenzen und Reibungen fehlen. Schnurgerade wird die Handlung heruntergespult, vielschichtigere Charaktere gibt es kaum und der zeitliche Hintergrund bleibt angesichts der völligen Fokussierung auf die Entwicklung des großen Deals gänzlich ausgespart.
So unterhält man sich zwar zwei Stunden bestens, doch wie beim Genuss von Popcorn oder Chips bleibt am Ende recht wenig zurück und die Wirkung des Films, der insgesamt doch ein Leichtgewicht ist, verpufft ziemlich schnell.
Air – Der große Wurf USA 2023 Regie: Ben Affleck mit: Matt Damon, Ben Affleck, Jason Bateman, Viola Davis, Chris Tucker, Chris Messina, Matthew Maher Länge: 112 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems
Trailer zu "Air"
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