Als die Mutter der siebenjährigen Amanda bei einem Anschlag ums Leben kommt, muss sich der 24-jährige Onkel um das Mädchen kümmern. Sehr feinfühlig und atmosphärisch stimmig erzählt Mikhaël Hers, wie das Leben von einem Moment auf den anderen umschlagen kann, sich Schock und lähmende Trauer ausbreiten und langsam doch wieder Hoffnung und Lebensfreude aufkeimen.
Der 24-jährige David (Vincent Lacoste) ist zwar ein sympathischer junger Mann, aber so richtig erwachsen ist er noch nicht. Noch scheint ihm nicht klar, welchen Lebensweg er einschlagen will und so schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs als Baumpfleger und der Betreuung von Touristen bei Bezug ihrer gemieteten Wohnungen durch.
So richtig verlassen kann man sich auf ihn aber nicht und gleich in der ersten Szene holt er seine siebenjährige Nichte Amanda (Isaure Multrier) zu spät von der Schule ab. Die alleinerziehende Mutter Sandrine, Davids Schwester, ist aber nur kurz verärgert, denn im Prinzip verstehen sie sich bestens.
In lichtdurchfluteten sommerlichen Bildern, die durch die Körnigkeit des Super 16mm-Materials echt und atmosphärisch stimmig wirken, mit viel Musik, einer mitreißenden Tanzszene von Mutter und Tochter zu Elvis Presleys „Don´t Be Cruel“ und Fahrradfahrten durch Paris beschwört Mikhaël Hers in seinem dritten Spielfilm mit ansteckendem Schwung das unbeschwerte Leben und das Glück dieses Trios. Vergrößert wird dies noch, als sich David in seine Nachbarin Léna (Stacy Martin) verliebt.
Luftig-leicht ist dieser Beginn, förmlich eine Ode an die Schönheit des Lebens. Umso abrupter ist der Bruch, als David sich in einem Park mit Sandrine, Lèna und weiteren Freunden treffen will, dort aber ein Bild des Schreckens mit Toten und Verletzten vorfindet. – Den Anschlag spart Hers aus, nur die Folgen auf die Betroffenen zeigt er und wie die Stadt plötzlich in Stille und im Schock erstarrt: Leer sind die Straßen, Polizei patrouilliert vor dem Park, Personenkontrollen sind an der Tagesordnung.
Einerseits gewinnt "Amanda" durch die Genauigkeit in der Schilderung des atmosphärischen Umschwungs seine Kraft und Dichte, andererseits aber und vor allem durch den ebenso präzisen wie einfühlsamen Blick auf die Hinterbliebenen und überlebenden Opfer. Da muss David seiner Nichte erklären, dass ihre Mutter beim Anschlag ums Leben gekommen ist, und muss bald auch selbst entscheiden, ob er die Rolle des Vormunds übernehmen oder Amanda in ein Kinderheim geben will.
Über die Trauer hinaus ändert sich aber auch für Amanda mit dem Verlust der Mutter das Leben grundlegend, übernachtet bald bei David, dann wieder bei dessen Tante. Und auch bei Léna, die mit einer Armverletzung davonkam, hat der Anschlag tiefe psychische Wunden hinterlassen.
Die Qualität von „Amanda“ besteht abgesehen von den großartigen schauspielerischen Leistungen von Vincent Lacoste und der erstmals vor einer Kamera stehenden achtjährigen Isaure Multrier in der Zurückhaltung der Inszenierung und der differenzierten Schilderung der Auswirkungen auf die drei Protagonisten.
Kleine alltägliche Szenen machen hier bewegend und nachwirkend die tiefe Erschütterung spürbar, wenn Amanda zornig darauf reagiert, dass David die Zahnbürste ihrer verstorbenen Mutter entsorgt hat, oder Léna bei einem kleinen Knall auf der Straße zusammenbricht.
Nie wird das aufdonnernd in Szene gesetzt, sondern wirkt immer echt und natürlich.
Besonders zeigt sich diese Zurückhaltung der Inszenierung auch bei einer Wiederbegegnung Davids mit einer alten Bekannten, die nichts vom Tod Sandrines weiß. Nicht in Großaufnahme lässt Hers hier David in Tränen ausbrechen, sondern lässt ihn zunächst weggehen und zeigt dann in einer distanzierten Totalen, wie er der Frau nochmals nachrennt, sie über den Tod Sandrines informiert und sie sich umarmen.
Auf spektakuläre Szenen verzichtet der 44-jährige Franzose, interessiert sich nicht für die Verantwortlichen und Hintergründe des Anschlags oder Amoklaufs, sondern fokussiert ganz auf die Hinterbliebenen. Ruhig und leise, aber bestechend genau schildert Hers, wie sich dabei langsam unter die Trauer doch wieder Momente des Glücks mischen, wie das zuvor erstarrte Leben wieder langsam beginnt weiter zu gehen. Spiegelbildlich wiederholt sich so eine Fahrradfahrt durch Paris, bei der man am Beginn David und Sandrine und gegen Ende David mit Amanda sieht.
In Sentimentalität und Pathos gleitet Hers dabei nur gegen Ende ab, wenn er doch allzu emotional am Beispiel eines Tennisspiels bewusst machen will, dass man nie aufgeben darf und immer die Möglichkeit einer Wende zum Positiven besteht – auch wenn der Verlust nie wettgemacht werden kann, die Lücke immer bleiben wird.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos. - Ab September in den deutschen Kinos.
Trailer zu "Amanda - Mein Leben mit Amanda"
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