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Beating Hearts - L´Amour ouf

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 5 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit
"Beating Hearts - L´Amour ouf": Furioser Mix aus Liebes- und Gangsterfilm
"Beating Hearts - L´Amour ouf": Furioser Mix aus Liebes- und Gangsterfilm

Obwohl die Jugendlichen Jackie und Clotaire aus unterschiedlichen Milieus stammen, verlieben sie sich und die Gefühle bleiben, obwohl Clotaire in die Kriminalität abdriftet: Gilles Lellouche verbindet Liebesgeschichte und Gangsterstory zu furiosem, mitreißend erzähltem und atmosphärisch dichtem Gefühlskino, das in beinahe drei Stunden Spieldauer die Handlung über rund 20 Jahre spannt.


Der Auftakt gibt das Tempo und den Erzählstil der dritten Regiearbeit des Schauspielers Gilles Lellouche vor: In Froschperspektive erfasst die Kamera Laurent Tangy eine Gruppe Männer, die sich in einem Parkhaus entschlossen auf mehrere schwarze Mercedes zubewegt. Dem Kofferraum werden Schnellfeuerwaffen entnommen.


In rasender Fahrt geht es mit quietschenden Reifen die kurvige Zufahrt des Parkhauses hinunter, während parallel dazu eine Frau zu einer Telefonzelle rennt. Den daraus resultierenden Anruf nimmt der Anführer der Bande nicht entgegen, sondern setzt die Fahrt zum Zielpunkt fort, wo es zu einem wilden Feuergefecht kommt, das aber nur als Schattenspiel gezeigt wird.


Erst jetzt folgt der Vorspann mit knallig roten Credits vor dem Hintergrund einer nicht näher bestimmten nordfranzösischen Hafenstadt. Nicht nur extrem kraftvoll ist dieser ebenso unvermittelte wie explosive Einstieg, sondern hat auch Interesse geweckt zu erfahren, wie es zu dieser gewalttätigen Auseinandersetzung kam und was es mit der telefonierenden Frau auf sich hat.


Mehr als zwei Stunden nimmt sich Lellouche Zeit, bis er zu dieser Szene zurückkehren wird, doch so dicht gedrängt, leidenschaftlich und pulsierend ist die Erzählweise, dass man hier kaum von "sich Zeit nehmen" sprechen kann.


Rund 20 Jahre springt der 53-jährige Franzose, der zuletzt in Quentin Dupieuxs "Daaaaaali!" (2023) eine Version von Salvador Dali und in "Asterix & Obelix im Reich der Mitte" (2023) Obelix spielte und der vor sieben Jahren auch mit seiner eigenen Regiearbeit "Ein Becken voller Männer" (2018) überzeugte, zunächst zurück.


Unterschiedliche Milieus präsentiert er, wenn der noch nicht zehnjährige Clotaire als Sohn eines cholerischen und gewalttätigen Hafenarbeiters mit mehreren Geschwistern in einer kleinen Wohnung aufwächst, während die etwas jüngere Jackie von ihrem alleinerziehenden Vater, einem Fernsehtechniker, im Vorstadthaus liebevoll umsorgt wird.


Kurz gehalten sind diese Szenen, um wenige Filmminuten, aber einige Jahre später Jackie (Mallory Wanecque) und Clotaire (Malik Frikah) als Jugendliche zusammenzuführen: Sie ist gerade von einer katholischen Privatschule geflogen, er hängt vor ihrer neuen Schule herum und macht mit seinen Kumpels abfällige Bemerkungen über die Mädchen, die aus dem Schulbus steigen.


Doch Jackie lässt sich das nicht gefallen, stellt Clotaire zur Rede, bezeichnet ihn als Blödmann, kritisiert seine Perspektivlosigkeit und betont den Wert der Schulbildung, die ihr als Erwachsene Lebensmöglichkeiten öffnen werden: Seinem Leben in den Tag hinein, stehen ihre Gedanken an die Zukunft gegenüber.


Die Gegensätze werden auch durch Kleidung und Frisur betont, wenn Jackies bürgerlich-bravem Auftreten Clotaires proletarisch-aggressive Präsenz gegenübergestellt wird. Dennoch spürt man schon in dieser Szene, wie es zwischen den beiden Jugendlichen funkt.


Mit ziemlich verrückten Aktionen gelingt es Clotaire Jackies Herz zu erobern und mitreißend beschwört Lellouche die Magie und Kraft dieser ersten Liebe, wenn sich Jackie in einer geträumten Szene mit Clotaire nachts in einem Lichtkegel sieht und mit ihm schwerelos durch die Schule tanzt oder ein in Jackies Zimmer an die Wand geklebter Kaugummi Clotaires wie ein Herz schlägt.


Doch als Clotaire und seine Kumpels bei einem Einbruch überraschend auf eine große Menge Drogen stoßen, gleitet er zunehmend ins kriminelle Milieu ab und eine langjährige Haftstrafe scheint mit dem Ende der Beziehung auch das Ende der Gefühle zu bringen.


Im Grunde erzählt Lellouche eine einfache Geschichte, aber wie er diese erzählt, macht "Beating Hearts" zu einem mitreißenden Kinostück, das in seiner Kraft an die Filme Jacques Audiards ebenso erinnert wie in seiner Lust an der visuellen und akustischen Oberfläche an das französische Cinéma du Look der 1980er Jahre.


Expressiv ist die Bildsprache, die mit überraschenden Kameraperspektiven sowie übersteigerter Farb- und Lichtgestaltung mit großen Kinobildern arbeitet, dynamisch die Erzählweise mit schnellem Schnitt und bewegter Kamera. Dicht zurren Parallelmontagen die im Erwachsenenalter unterschiedlich verlaufenden Geschichten der beiden Protagonist:innen zusammen und über die Wiederholung einer Sonnenfinsternis und gleichlautende Dialogzeilen wird trotz räumlicher Distanz eine Verbindung zwischen ihnen hergestellt.


Dazu kommt ein wuchtiger Soundtrack, der mit Songs von The Cure, die Jackie als ihre Lieblingsband bezeichnet, über Billy Idol, Prince und Deep Purple bis zu Falcos "Der Kommissar" und Foreigner intensiv die Stimmung der 1980er und 1990er Jahre evoziert.


Bruchlos hat Lellouche Neville Thompsons 1997 erschienenen Roman "Jackie Loves Johnser OK?" von Dublin nach Nordfrankreich verlegt. Weitgehend nur Hintergrund für die Liebesgeschichte bildet dabei der soziale Raum, denn gesellschaftliche Entwicklungen kommen nur kurz und am Rande mit einem Streik der Hafenarbeiter gegen Privatisierung und Kündigungen ins Spiel.


Der Fokus liegt ganz auf der leidenschaftlichen Liebesgeschichte, die über die kriminelle Energie Clotaires souverän mit spektakulären Überfällen und brutalen Auseinandersetzungen im Gangstermilieu verknüpft wird. Nüchtern betrachtet mag die prototypische Gegenüberstellung der beiden unterschiedlichen Milieus von Jackie und Clotaire klischeehaft sein. Doch der erzählerische Furor Lellouches und das leidenschaftliche Spiel seines Ensembles lassen solche Einwände gar nicht erst aufkommen, sondern sorgen dafür, dass man für 161 Minuten ganz in die Welt des Films eintaucht.


Über die konkrete Geschichte hinaus wird dabei in der Fokussierung auf die Liebesgeschichte universell und zeitlos von der ebenso unbändigen wie irrationalen Kraft der Liebe erzählt, vom Unglück, in das eine Vernunftehe, in der die wahren Gefühle verdrängt werden, führen muss und schließlich auch – wenn auch vielleicht nicht ganz glaubwürdig und mehr geträumt als real – von der möglichen Wandlung eines Menschen durch den Einfluss eines anderen.


Beating Hearts – L´Amour ouf Frankreich / Belgien 2024 Regie: Gilles Lellouche mit: François Civil, Adèle Exarchopoulos, Mallory Wanecque, Malik Frikah, Alain Chabat, Elodie Bouchez, Karim Leklou Länge: 161 min.


Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems


Trailer zu "Beating Hearts - L´Amour ouf


 

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