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AutorenbildWalter Gasperi

Beau Is Afraid


Ari Aster schickt Joaquin Phoenix als paranoiden, an einem Mutterkomplex leidenden Endvierziger auf eine fast dreistündige kafkaeske Odyssee: Ein vor Einfallsreichtum und Bildmacht sprühender, aber auch überlanger, zwischen Horror und schwarzer Komödie changierender Trip durch die Psyche des Protagonisten und US-amerikanische Verwerfungen.


Mit "Hereditary" (2018) und "Midsommar" (2019) hat sich Ari Aster auf Anhieb als einer der neben Robert Eggers ("The Lighthouse", "The Northman") und Jordan Peele ("Get Out", "Us - Wir", "Nope") wichtigsten Vertreter des modernen Art-Horror etabliert. Mit seinem dritten langen Film kehrt der 1986 geborene New Yorker nun zu seinem siebenminütigen Kurzfilm "Beau" von 2011 zurück. Dessen Geschichte um einen Mann, der seine Mutter besuchen möchte, aber in seiner Wohnung feststeckt, da ihm seine Schlüssel gestohlen wurden, hat Aster nun zu einem 179-minütigen, kafkaesk-surrealen Trip ausgebaut.


Mit Schwarzfilm beginnt "Beau is Afraid". Wenn langsam der Ton dazu kommt, stellt sich im Kopf der Zuschauer:innen das Bild der Geburt eines Kindes aus der Perspektive des Neugeborenen, doch die aufblitzenden roten Lichtpunkte lassen eher an Mündungsfeuer von Gewehren denken. Im Kern verhandelt diese Auftaktszene so schon die zwischen Liebe und Hass pendelnde Mutter-Sohn-Beziehung zwischen dem Endvierziger Beau (Joaquin Phoenix) und seiner Mutter Mona (Patti LuPone).


Anlässlich der Wiederkehr des Todestags des Vaters, der schon vor Beaus Geburt gestorben ist, möchte er seine Mutter besuchen, doch hat er größte Problem seine Wohnung zu verlassen. Zahlreiche schräge und auch aggressive Typen tummeln sich nämlich auf der verfallenden Straße vor seinem, sich in desolatem Zustand befindenden Block. Bald dringen diese auch in seine Wohnung ein und verwüsten sie.


Intensiv beschwören Asters Stamm-Kameramann Pawel Pogorzelski und ein starkes Sound-Design die Atmosphäre dieser aus den Fugen geratenen, von bürgerkriegsähnlichen Zuständen bestimmten Welt. Offen bleibt dabei freilich, was hier real und was Einbildung des von schweren Ängsten geplagten Beau ist.


Seine Sitzungen beim Therapeuten scheinen jedenfalls erfolglos. Nur mit Medikamenten kommt er halbwegs über die Runden. Die einzige Kontaktperson scheint seine Mutter zu sein, deren Handynummer in seinem Adressbuch an oberster Stelle steht. Unbedingt möchte er sie besuchen, doch zuerst verliert er den Wohnungsschlüssel und seinen Koffer, dann verstört ihn ein Anruf bei der Mutter und schließlich kommt es auch noch zu einem Unfall vor seiner Wohnung.


Im Wohnungsschlüssel kann man auch einen Schlüssel zu Beaus Unterbewusstsein sehen. Mit dem Verlassen der Wohnung brechen nämlich immer wieder Erinnerungen an seine Jugend herein. Gleichzeig beginnt aber auch eine Odyssee durch eine teils nach außen hin übermäßig heile, in Rosarot getauchte, im Kern aber zutiefst bedrohliche Welt. Nicht ausbleiben kann auch eine Konfrontation mit der als Unternehmerin sehr erfolgreichen Mutter.


Unter die realistischen Szenen mischen sich dabei auch von kräftigen Farben geprägte Animationsszenen, in denen Beau nochmals auf einen Lebensweg geschickt wird. Wie diese knallbunten Szenen mit dem Weg durch eine Blumenlandschaft an "The Wizard of Oz" erinnern, so scheinen andere, sehr düstere Momente von den Filmen David Lynchs oder von Darren Aronofskys "Mother!" beeinflusst.


Einzig durch seinen Hauptdarsteller Joaquin Phoenix wird dieser bildmächtige Trip, der zwischen schwarzem Humor und Horror pendelt, zusammengehalten. In jeder Szene ist der Ausnahmeschauspieler präsent, seine Perspektive bestimmt den Film, sodass man in seine ambivalente Mutterbeziehung, die an die Filme von Alfred Hitchcock, vor allem natürlich an "Psycho", und von Jerry Lewis erinnert, eintauchen kann.


Wie beim Komiker Lewis erscheint auch bei Aster der Protagonist als schwacher Mann, der sich nie von seiner Mutter lösen konnte und unter ihrer Dominanz leidet. Untrennbar sind sie in Liebe und Hass miteinander verbunden, gleichzeitig wird die Reise in Beaus Psyche aber auch zu einer Reise in das abgründige Herz der USA.


Denn ergänzt werden der sich durch den Film ziehende Mutterkomplex und die tief verankerte Paranoia Beaus in den einzelnen Szenen durch Psychotherapie-Sitzungen, Tablettensucht, von Kriminalität bestimmte Städte, Kriegstraumata, dysfunktionale Familien mit gestörten Teenager-Kindern und einen Amokläufer ebenso wie durch eine Flucht aus dieser beunruhigenden Welt in die Wälder.


Zu einem geschlossenen Ganzen fügt sich "Beau Is Afraid" dabei nie und will dies wohl auch nicht. So zerrissen wie die Welt wirkt dieser Film, provoziert Widerspruch mit seiner ausufernden Erzählweise und seiner Überlänge, fasziniert aber auch mit seiner Bildmacht und seinem Einfallsreichtum.


Getragen aber wird dieser Psycho-Trip, den man nicht so schnell aus dem Kopf bekommen wird, von einem Joaquin Phoenix, der sich als Beau wieder einmal die Seele aus dem Leib spielt. Man glaubt dem Oscar-Preisträger seine Mutterbindung ebenso wie seine Ängste, nimmt direkt teil an seiner Verstörung und seiner Ohnmacht, in denen Aster wohl über das Individuelle hinaus ein Bild des zutiefst erschütterten und verunsicherten US-amerikanischen Mannes im Allgemeinen zeichnen will.


Beau Is Afraid Kanada / Finnland / USA 2023 Regie: Ari Aster mit: Joaquin Phoenix, Nathan Lane, Amy Ryan, Stephen McKinley Henderson, Hayley Squires Länge: 179 min.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos und ab 11.5. in den österreichischen und deutschen Kinos.



Trailer zu "Beau Is Afraid"



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