Körperfeindliche katholische Religion und lesbischer Sex, Schmerz und Lust. – An Subtilität ist der Holländer Paul Verhoeven nicht interessiert, sondern bietet mit seinem im 17. Jahrhundert spielenden Klosterfilm saftiges Kino, das auch mit den Mitteln des Trashs arbeitet, gleichzeitig aber auch in die Tiefe geht und zum Nachdenken anregt.
Eine kleine Holzfigur, die auf der einen Seite eine Marienstatue ist, auf der anderen ein Dildo, ist nicht nur ein wichtiges Requisit im neuen Film des 83-jährigen Paul Verhoeven, sondern veranschaulicht auch schon markant eines der Spannungsfelder von "Benedetta": Der ganz aufs Jenseits ausgerichteten körperfeindlichen Religion steht bei dieser Statuette die körperliche Lust gegenüber. Dadurch dass beides in einer Figur zusammengezurrt ist, scheinen die Pole auch im Leben untrennbar verbunden.
Nicht nur für die aus der Unterschicht stammende, unbekümmerte Novizin Bartolomea (Daphné Patakia), die sehr frei mit ihrem Körper umgeht, entwickelt die Nonne Benedetta (Virginie Efira) so auch intensive Gefühle, sondern auch Benedettas Visionen von Christus sind hochgradig erotisch aufgeladen. Als ihren Gatten und Beschützer sieht sie nämlich in ihren Träumen den Gekreuzigten, der Räuber, die sie vergewaltigen wollen, brutal abschlachtet, oder dem sie sich am Kreuz so nähert, dass es dabei zum Sex zu kommen scheint. Neu ist diese Verbindung von Erotik und religiöser Vision freilich nicht, kennzeichnet sie doch schon Gianlorenzo Berninis Skulptur "Die Verzückung der Heiligen Theresa".
Immer schon hat es Paul Verhoeven darauf angelegt zu provozieren, strebte immer danach saftiges Kino zu bieten und auch Grenzen zu überschreiten. Schon 1973 sorgte er mit dem Sexfilm "Türkische Früchte" für Aufsehen, landete mit dem Erotik-Thriller "Basic Instinct" 1992 seinen größten Erfolg und ließ Isabelle Huppert in "Elle" (2016) Rache für eine Vergewaltigung nehmen. Nicht nur Sex und Gewalt sind Konstanten im Werk des Holländers, sondern immer wieder geht es auch um starke Frauen, die der männlichen Macht den Kampf ansagen, mit den Männern spielen und sie manipulieren.
Als stark präsentiert er in dieser auf einer "wahren Geschichte" beruhenden Verfilmung der 1986 erschienenen Biografie "Immodest Acts – The life of a lesbian nun in Renaissance Italy" ("Schändliche Leidenschaften: das Leben einer lesbischen Nonne in Italien zur Zeit der Renaissance") der amerikanischen Historikerin Judith C. Brown die Protagonistin schon in der Auftaktszene. Die Elfjährige ist hier mit ihren Eltern auf dem Weg ins Kloster in der Toskana, als die Reisegruppe von Räubern überfallen wird. Während die Mitreisenden schnell eingeschüchtert werden, tritt die tiefreligiöse kleine Benedetta den Verbrechern entschlossen entgegen und scheint dabei auch von Gott unterstützt zu werden.
Immer wieder spielt Verhoeven in der Folge mit dieser intensiven Beziehung der mit ihren blonden Haaren engelsgleichen Nonne, die Virginie Efira aber gleichzeitig als Femme fatale spielt, die an den Film noir-Star Veronika Lake erinnert. Offen lässt er aber bis zum Ende, ob sie wirklich Visionen von Christus hat oder diese nur vortäuscht oder aber in religiösem Wahn ihre Visionen selbst für wahr hält. Offen bleibt auch, ob sie die Stigmata auf unerklärliche Weise bekam oder sich diese selbst zufügte, um ihre Autorität in der Klostergemeinschaft zu steigern.
Durchaus auch aktuell zu lesende Kritik an der Katholischen Kirche übt der erklärte Atheist Verhoeven schon bei der Aufnahme Benedettas ins Kloster, wenn ihr Vater an die von Charlotte Rampling großartig gespielte Äbtissin eine Mitgift zahlen muss und um den Preis gefeilscht wird. Gleichzeitig wird mit dieser Szene aber auch die Vorstellung einer Heirat der Nonnen mit Christus verstärkt.
Auch Körperfeindlichkeit und Lust treffen im Kloster sofort aufeinander, wenn Benedetta einerseits erklärt wird, als sie das kratzende Kleid kritisiert, dass der Körper ihr Feind sei, sie andererseits lustvoll an der Brustwarze einer Marienstatue saugt, die sie beinahe erschlägt.
Mit einem Schnitt überspringt Verhoeven bald 18 Jahre und lässt Benedetta mit dem Auftauchen der Bauerntochter Bartolomea, die nach Missbrauch durch ihren Vater und ihre Brüder im Kloster Zuflucht sucht, eine Entwicklung durchmachen. Unter dem Einfluss der Novizin entdeckt Benedetta ihren Körper. Löst die erste intime Berührung durch Bartolomea bei ihr noch eine drastische Vision von bedrohlichen Schlangen aus, so entwickelt sie doch zunehmend Lust.
Gleichzeitig werden mit diesem sexuellen Erwachen auch ihr Glaube und ihre Visionen von Christus immer intensiver. Durch diese Sehergabe, bei der sie auch in eine tiefe männliche Stimme verfällt, gewinnt Benedetta nicht nur an Ansehen, sondern steigt auch rasch zur Äbtissin auf, macht sich damit aber auch die Alt-Äbtissin zur Feindin.
Deftig und durchaus mit einer Lust am Trashigen inszeniert sind nicht nur Benedettas Visionen von Christus und die Sexszenen, sondern auch beim Leuchten eines Kometen am rötlichen Himmel greift Verhoeven mächtig in den Farbtopf und zitiert Klassiker. Während Klostersetting, Farbdramaturgie und Wahn der Nonnen Erinnerungen an Michael Powells und Emeric Pressburgers "Black Narcissus" wecken, orientiert sich die Musik in diesen Szenen an Bernard Herrmanns Soundtrack zu Hitchcocks "Vertigo" und evoziert Thrillerspannung.
Billiger Trash wird dabei keineswegs geboten, sondern Verhoeven spielt vielmehr mit den Elementen der Nunsploitation, um bissig mit den Machtstrukturen in der Kirche, deren Geldgier und Körperfeindlichkeit abzurechnen, und wirft hinter der deftigen Oberfläche auch Fragen nach dem Glauben und dem Verhältnis von Schmerz und Lust auf. Denn wie schon in "Basic Instinct" hängen diese Pole hier untrennbar zusammen, wenn Benedetta und Bartolomea Lust bei der Selbstgeißelung einer Nonne verspüren und den Sexszenen immer wieder Bilder von geschundenen und blutenden Körpern gegenüberstehen.
Aber Verhoeven lässt diese starke Frau auch die Macht der Männer brechen, wenn sie allein mit ihrer Präsenz einen Volksaufstand und den Sturz des Nuntius (Lambert Wilson) erreichen kann. – Nicht unterschätzen sollte man folglich das Raffinement und die Vielschichtigkeit dieses deftigen und sehr unterhaltsamen feministischen Historienfilms.
Derzeit in den Schweizer und deutschen Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "Benedetta"
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