Nachdem der 1958 in Shanghai geborene Wong Kar-Wai in den 1990er Jahren zum Star des internationalen Autorenfilms aufgestiegen war, wurde es im letzten Jahrzehnt ruhig um den Hongkonger. Acht Jahre liegt schon sein letzter Film "The Grandmaster" zurück, doch jetzt ermöglicht die Wiederaufführung seiner digital restaurierten Klassiker in Schweizer Kinos wie dem Kinok St. Gallen, dem Stadtkino Basel oder dem Kino Rex in Bern eine Wieder- oder Neuentdeckung des Werks dieses brillanten Stilisten.
"Days of Being Wild" hieß Wongs zweiter Film und umschreibt auch sein Werk zumindest bis "Fallen Angels" (1995). In diesem und noch mehr in "Chungking Express" (1994) setzte er sich über alle Gesetze der Filmsprache hinweg, entwickelte ein wildes Kino, wie man es seit den frühen Filmen Godards und Oshimas nicht mehr gesehen hatte.
Großstadtfilme sind beide Werke und die Großstadt heißt Hongkong. Hektisch geschnittene und mit verwackelter Handkamera aufgenommene Bilder stehen jeweils am Beginn. - Rasante, furiose Auftaktsequenzen sind das: Weißes Neonlicht und kaltes Blau bestimmen das Stadtbild, das sich vor allem aus U-Bahnschächten, Fastfood-Buden und tristen Wohnungen zusammensetzt. Nur Konsumgüter und Konsumtempel von Coca Cola bis McDonalds bringen wirklich Farbe in diese trostlose Welt.
Die jungen Hauptfiguren sind völlig vereinsamt, als Off-Erzähler kommunizieren sie mit den Kinobesucher*innen, Gesprächspartner*innen finden sie nur kurz an den Imbissständen, dem einzigen Ort sozialer Begegnung. In langen, ruhigen Einstellungen kommt ihre Verlorenheit zum Ausdruck. Zeitraffer, Zeitlupe, Schwarzweißbilder - Wong mischt alles und bemüht sich mehr um die Vermittlung eines Stimmungsbildes als die Entwicklung einer Geschichte. - Die Geschichten gehen hier sowieso ineinander über.
In "Chungking Express" leidet zuerst Polizist 223 und im ruhigeren zweiten Teil Polizist 663 an Liebeskummer, anonym bleiben beide, namenlos wie Waren mit Verfallsdatum. Nur Faye träumt noch vom Ausbruch aus dieser Welt: "California Dreamin´"
Auch der junge Profikiller, seine Partnerin und der stumme He Qiwu in Wongs Meisterwerk "Fallen Angels" ziehen desillusioniert durch Hongkong. Es gibt keine Hoffnung auf Glück, verloren ist alles schon von Anfang an. Nie wird es Tag und nur am Ende wird wie ein Hoffnungsschimmer ein Blick in den Himmel und ein überraschendes Happy-End gewährt: "There must be a change - somehow"
Der Titel "Happy Together" (1997) kann nur ironisch gemeint sein, denn erzählt wird von einer sterbenden Liebe. Nicht Hongkong, sondern Buenos Aires ist der Schauplatz, doch die Beziehung des homosexuellen Paares scheitert trotz aller Bemühungen auch hier: "Allein kann er nicht sein, der Mensch, und zusammen auch nicht", schrieb Fassbinder über "All That Heaven Allows" von Douglas Sirk, der als zentrales Vorbild Wongs gilt.
Ruhiger als die Frühwerke ist "Happy Together", konzentriert sich ganz auf die Liebesgeschichte, zeichnet differenzierte Charaktere mit kompliziertem Gefühlshaushalt, doch der Off-Erzähler findet sich hier ebenso wie die stilistischen Brechungen von Schwarzweiß bis Zeitraffer und Zeitlupe. Unverkennbar ist der visuelle Stil aller drei Filme, geprägt von der atemberaubend expressiven Kameraarbeit Christopher Doyles. Immerhin gibt es in diesem Melodram erstmals Momente des Glücks: "Happy Together"
Mit "In the Mood for Love" (2000) erlebte Wongs Entwicklung vom wilden jungen Mann zum klassischen Meister seinen Abschluss: Formvollendet erzählt er in dem von Christopher Doyle atemberaubend gefilmten Melodram von der Einsamkeit in der Großstadt und der nie erfüllbaren Sehnsucht nach Liebe: "Que sas, que sas, que sas?"
Vier Jahre später setzte er dieses Meisterwerk mit "2046" (2004) fort. In hochartifiziellen Bild- und Tonmontagen webt Wong darin einen atemberaubenden Teppich der Erinnerungen. Im Mittelpunkt steht der Protagonist von "In the Mood for Love", der mit seinem Off-Kommentar durch den Film führt, sich an seine unglückliche Liebe erinnert und gleichzeitig einen Roman mit dem Titel "2046" schreibt. Wenn dieser Herr Chow seiner einstigen Geliebten wieder begegnet, diese sich aber nicht an ihn erinnert oder nicht erinnern will, wirkt das wie eine Reminiszenz an Alain Resnais´ "Letztes Jahr in Marienbad", doch ungleich emotionaler und melancholischer als im kühlen Meisterwerk des Franzosen ist diese Szene.
Eine glückliche Liebe gibt es bei Wong Kar-Wai nie, denn „man erkennt eine verwandte Seele nicht, wenn man ihr zu früh oder zu spät begegnet". Die ganze Vergeblichkeit drückt sich nicht nur in Chows „Ich liebte einmal, aber ich habe nie herausgefunden, ob sie mich auch liebte“, sondern mehr noch in jedem Bild und jeder Bewegung aus. Und nichts kann den Verlust der Liebe des Lebens wettmachen und so bleiben Herr Chow nur die Erinnerung, die Geschichten und die Sehnsucht.
Noch mehr als in „In the Mood for Love“ atmen die Bilder in "2046" die Vergeblichkeit und die unstillbare Sehnsucht und entwickeln aus diesem Widerspruch eine atemberaubende Stimmung der Melancholie. Keine hellen Farben, nichts Grelles gibt es hier, dunkles Blau und Grau dominiert – und die Zeitlupe, mit der eine Zigarette zum Mund geführt wird oder die Zeitlupe einer Bewegung verstärkt nochmals die Vergeblichkeit und multipliziert wird diese Stimmung durch Peer Rabens Musik, der auf Schlager von Nat King Cole ebenso wie auf Arien aus Vincenzo Bellinis Oper „Norma“ zurückgreift.
In seinem ersten englischsprachigen Film "My Blueberry Nights" (2007) trieb Wong seinen Stil und seine Themen dann ins Extrem. Auf eine Reise quer durch die USA schickt er darin die von der Singer-Songwriterin Norah Jones gespielte Protagonistin auf der Suche nach einer verlorenen oder auch nach einer neuen Liebe. Dennoch ist das kein Road-Movie, denn Wong interessieren nicht Landschaften und Städte, sondern die Gefühlslage der Figuren, die er mit Farben und Licht, aber auch mit den Songs von Jones oder Gitarrenklängen von Ry Cooder beschwört.
Bilder und Stimmungen der Melancholie und der Einsamkeit entstehen so, die sich unübersehbar an den Gemälden von Edward Hopper orientieren, doch Wong zelebriert hier seine Kunstfertigkeit auch in einem Maße, dass sie zur manierierten Pose und Werbeästhetik zu verkommen droht.
Nichts gemein schein der Martial-Arts-Film "The Grandmaster" (2013), den Wong wieder in seiner Heimat drehte, auf den ersten Blick mit seinen Melodramen zu haben, doch unverkennbar ist dies in seiner Bildsprache ein Film des Hongkongers. Voll grandioser Szenen, virtuos choreographierten Kampfszenen und betörenden Bildern ist dieser historische Film über den legendären Kung-Fu-Lehrer Ip-Man (1893 – 1972), doch inhaltlich hat sich der Meisterregisseur hier doch übernommen.
Bruchstückhaft bleibt hier vieles beim Versuch einerseits chinesische Geschichte von 1936 bis 1952 nachzuzeichnen, andererseits auch in die verschiedenen Spielarten des Kung Fu einzuführen und emotionale Kraft entwickelt nur die melodramatische Geschichte von einer unerfüllten Liebe, die insgesamt aber zu kurz kommt. – Doch unbestritten macht das Kino des Wong Kar-Wai süchtig und die Wiederbegegnung mit seinem Werk, weckt auch großes Verlangen nach einem neuen Film des 63-Jährigen, der gegenwärtig an einer TV-Serie mit dem Titel "Blossoms" arbeitet.
Derzeit in den Schweizer Kinos, ab 1.10. z.B. im Kinok St. Gallen, im Stadtkino Basel und im Kino Rex in Bern - Übersicht über weitere Spielorte finden Sie hier.
"The World of Wong Kar-Wai" (2 Minuten)
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