
Ein entlassener Häftling freundet sich nach seiner Rückkehr in seine am Rand der Wüste Gobi gelegene Heimatstadt mit einem streunenden Hund an: Ein Film wie ein chinesischer Western mit einem wortkargen Protagonisten und der grandiosen Landschaft als zweitem Hauptdarsteller.
In einer Totale erfasst die Kamera von Gao Weizhe die weite wüstenhafte Ebene, durch die sich auf einer staubigen Landstraße ein Bus nähert. Langsam schwenkt die Kamera nach rechts und erfasst ein von den Hügeln in Richtung Piste rennendes riesiges Rudel verwilderter Hunde. Mit einem Schwenk nach links kommt wieder der Bus ins Bild, der ins Schleudern kommt und umstürzt, weil die Hunde den Fahrer offensichtlich irritieren und er ausweichen will.
Das Cinemascope-Format bringt die grandiose Wüstenlandschaft ebenso eindrücklich zur Geltung wie die Dominanz von Grautönen der sandigen Hügel. Nur einzelne Tumbleweed-Büsche, die der Wind über die Ebene treibt, sorgen hier für Abwechslung. Das Grau dieser Auftaktszene wird Guan Hus beim Filmfestival von Cannes in der Section Un certain regard mit dem Hauptpreis ausgezeichneten Spielfilm ebenso den Stempel aufdrücken wie die Kameraschwenks.
Denn nicht nur die Wüste ist hier grau, sondern auch die Straßenzüge und Wohnblocks der nahen Stadt und immer wieder bettet Weizhe mit Totalen und langsamen Schwenks den Protagonisten in die ebenso grandiose wie lebensfeindliche Wüste und die triste Stadtszenerie ein.
Beim Busunfall wird niemand verletzt, doch vorstellen kann Hu hier schon seinen Protagonisten Lang (Eddie Peng). Nach zehn Jahren Haft wurde dieser vorzeitig entlassen und kehrt nun in seine Heimatstat zurück. Nicht nur in dieser Szene spricht der etwa 30-jährige Mann kein Wort, sondern wird im ganzen Film kaum mehr als fünf Sätze von sich geben.
Wie ein klassischer Westernheld wirkt Lang in dieser Wortkargheit ebenso wie in seinem unabhängigen Agieren. Aber auch die Ankunft aus der Fremde in einer Stadt ist eine klassische Eröffnung von Western und wie Westernstädte meist an der Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis liegen, so liegt Chixia am Rande der Wüste Gobi.
Schon klimatisch sind die Verhältnisse hier unbequem, denn immer wieder weht ein heftiger Wind durch die Straßen, mal wird ein Sandsturm angekündigt, dann hagelt es wieder und auch ein kurzer Schneeschauer sowie ein Erdbeben bleiben nicht aus. Dazu kommt in dem 2008 spielenden Film die wirtschaftliche und soziale Situation der Stadt.
Die Medien verbreiten zwar Vorfreude auf die demnächst beginnenden Olympischen Sommerspiele in Peking und analog zu diesem Großereignis werden auch Aufbruch und Modernisierung in Chixia angekündigt, doch das aktuelle Stadtbild evoziert Tristesse: Verlassen sind die desolaten Wohnsiedlungen, heruntergekommen sind die Straßenzüge. Einst war dies wohl eine Bergbauregion, doch davon künden nur noch riesige Erdberge und Stahltürme, auch ein Betonwerk befindet sich im Verfall.
Einen deprimierenden Eindruck vermittelt auch der Zoo, wohin Langs Vater gezogen ist, um sich um die Tiere zu kümmern. Da es an Nahrung mangelt, muss er bald den Wolf freilassen, und der Tiger wird kaum artgerecht mit Brei gefüttert.
Ein großer Teil der Bewohner:innen scheint längst anderswo sein Glück zu suchen, dafür breiten sich nun die herrenlosen Hunde in der Stadt aus und sind zur Plage geworden. Von kommunaler Seite wird Jagd auf sie gemacht und auch Lang meldet sich als Hundefänger. Schon zuvor ist er aber auf einen schwarzen Windhund gestoßen und hat sich auf Auseinandersetzungen mit diesem eingelassen.
Als Lang diesen Hund im Rahmen der offiziellen Fangaktion aufgreift, bittet er, ihn behalten zu dürfen. Ihr Einzelgängertum scheint den Mann und das Tier zu verbinden und langsam entwickelt sich eine Freundschaft. Gleichzeitig wird Lang aber auch immer wieder von der Familie des Mannes bedroht, den er vor zehn Jahren - vermutlich bei einem Unfall - getötet hat.
Guan Hu verzichtet auf große Erklärungen und setzt auch Filmmusik nur sehr reduziert ein. Der 1967 geborene Regisseur, der zuletzt mit dem aufwändigen Kriegsfilm "The 800" (2020) in China einen Kassenschlager landete, der über 450 Millionen Dollar einspielte, vertraut ganz auf die Kraft seiner Bilder und seinen charismatischen Protagonisten.
Verpackt in die Geschichte eines Entwurzelten und Einzelgängers, der in der Fürsorge für einen Hund eine Aufgabe findet, erzählt er in seinem von herber Poesie durchzogenen Film eindrücklich vom gesellschaftlichen Umbruch, von Hoffnungen und vom Widerspruch zwischen den öffentlichen Versprechungen und der Tristesse am Rand der Wüste. Hier wird sich wohl auch dann nicht viel ändern, wenn am Ende Bulldozer anrücken und die verfallenden Gebäude abgerissen werden.
Unaufdringlich, aber kraftvoll und eindrücklich führt Hu nicht nur den Gegensatz von Wüste und Stadt, sondern auch von Aufbruch und Glamour in der Hauptstadt des Reichs der Mitte und Rückständigkeit der Randregion vor Augen. Die streunenden Hunde können dabei auch als Metapher für die menschlichen Verlierer des rasenden Fortschritts Chinas gelesen werden.
Gleichzeitig wird mit der Jagd auf die Hunde eine Antithese zwischen Mensch und Tier aufgebaut, die Lang mit seiner Freundschaft überwindet und damit auch zunehmend Menschlichkeit entwickelt. Denn zeigt er zunächst kein Interesse an seinem alten und kranken Vater, so entwickelt er zunehmend Empathie und beginnt sich nicht nur um ihn zu kümmern, sondern auch um einen verletzten Nachbarn und sogar um seinen Gegner, als dieser sich in einer Notlage befindet.
Wie ein klassischer Westernheld oder auch wie die streunenden Hunde bleibt Lang aber dennoch ein Einzelgänger und wird auch am Ende wieder auf seinem schwarzen Motorrad durch die endlose Wüstenebene rasen.
Black Dog – Gou Zhen (Weggefährten)
China 2024
Regie: Guan Hu
mit: Zhangke Jia, Jing Liang, Eddie Peng, Liya Tong, Vision Wei, Hong Yuan, Yi Zhang, Yi Zhao
Länge: 106 min.
Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos und ab 10.4. in den Schweizer Kinos.
FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 19.2., 18 Uhr + Do 20.2., 19.30 Uhr
Trailer zu "Black Dog - Gou Zhen (Weggefährten)"
コメント