Elene Naveriani erzählt in ruhigem Rhythmus von einer in einem kleinen georgischen Dorf lebenden, alleinstehenden Endvierzigerin, die langsam das Leben neu entdeckt und aufblüht. – Getragen wird das leise Drama von der großartigen Hauptdarstellerin Eka Chavleishvili.
Die wilden Brombeeren will sich die 48-jährige Etero (Eka Chavleishvili), die in einem abgelegenen georgischen Dorf einen kleinen Laden betreibt, nicht entgehen lassen. Abgelenkt wird sie aber von einer Amsel, die sich neben den Sträuchern niederlässt, sodass sie im steilen Gelände den Halt verliert und ins Rutschen kommt. Gerade noch kann sie einen Absturz in den Fluss vermeiden und kämpft sich wieder hoch. Als sie am Rande des Abgrunds steht, sieht sie in einer Vision sich selbst tot am Flussufer liegen.
Auch gegen Ende von Elene Naverianis drittem Spielfilm brechen wieder solche Todesängste und -visionen durch, doch eigentlich freut sich die etwas übergewichtige Frau, die ihr ganzes Leben allein lebte, weil Vater und Bruder jeden Mann von ihr fernhielten, auf die Pension. Dann glaubt sie, völlig unabhängig leben zu können, da dann ja auch die Zwänge der Arbeit wegfallen.
Doch die reifen Beeren und der Blick auf die Amsel scheinen bei Etero auch etwas in Bewegung gesetzt zu haben. War sie davor doch auch eingerostet in ihrem Alltagstrott, scheinen die farbintensiven Früchte und der schwarze Vogel mit seinem leuchtend gelben Schnabel bei ihr die Lebensgeister geweckt zu haben. – Als Spiegelbild für sie selbst erscheinen dabei auch diese Beeren, die erst spät im Jahr reifen.
Geradezu magisch hingezogen fühlt sich Etero nun zum Lieferanten Murman (Temiko Chichinadze), als dieser wieder einmal ihren Laden betritt. Sie nähert sich ihm, beschnuppert ihn förmlich, bis sie leidenschaftlich über sich herfallen. Im Dorf freilich darf niemand etwas von dieser Beziehung wissen, denn ausgestoßen würde Etero damit aus der Gemeinschaft. Aber auch der verheiratete Murman muss diese Liebe geheim halten.
Nur über SMS halten sie Kontakt, können sich auch bei der nächsten Lieferung nicht näherkommen, da Murman einen Gehilfen bei sich hat. So treffen sie sich später heimlich auf einem Feld in Murmans Auto oder in einem Hotelzimmer. Wenn zu einer Autofahrt durch die ländliche Gegen ein Chanson einsetzt und Etero erstmals lächelt, dann spürt man ihre innere Befreiung und ihr Aufblühen. Dennoch scheint sie sich nicht wirklich für eine feste Beziehung entscheiden zu wollen, denn ihre Unabhängigkeit geht ihr letztlich über alles.
Nachdem Elene Naveriani in "Wet Sand" eindrücklich von der Homophobie der georgischen Landbevölkerung erzählte, zeichnet die abwechselnd in Genf und Tiflis lebende Georgierin nun nach Tamta Melaschwilis 2023 auch auf Deutsch erschienenem Roman "Amsel, Amsel, Brombeerbusch" das bewegende Porträt einer Endvierzigerin.
Nicht mehr so lang wie in dem an der Schwarzmeerküste spielenden "Wet Sand" sind die Einstellungen von Naverianis Stammkamerafrau Agnesh Pakozdi, aber immer noch lässt sie jeder Szene die Zeit, die sie benötigt, und jeder Schnitt ist wohlüberlegt gesetzt. Wieder wirken die einzelnen Einstellungen durch Lichtsetzung und Intensität der Farben teilweise wie Gemälde, doch die Kunstfertigkeit, mit der hier auch die alternden und übergewichtigen Körper ins Bild gerückt werden, ist frei von jeder Selbstgefälligkeit und steht ganz im Dienst der Handlung.
Leise ist die Erzählweise und in Details verdichtet sich nicht nur das Porträt Eteros, sondern auch das ihres Dorfes. Immer mehr grenzt sie sich nämlich von ihren "Freundinnen" ab, will nichts mit deren Dorfklatsch zu tun haben, sucht dagegen Rat bei einem lesbischen Paar, das einen modernen Supermarkt führt, oder bei ihrer Teenager-Nichte, die sich allein schon mit ihren blauen Haaren dem konservativen Dorfleben widersetzt.
Immer wieder zeigt sich Etero dabei hungrig nach neuen Erfahrungen, wenn sie das Paar nach ihrem Türkei-Urlaub befragt, auch mal die Rockmusik ihrer Nichte hören will, die für sie am Smartphone Google-Recherchen durchführt.
Mit viel Feingefühl und Einfühlungsvermögen ist das inszeniert, aber getragen wird "Blackbird Blackbird Blackberry" von der großartigen Eka Chavleishvili. Sie spielt diese Etero, die in jeder Szene präsent ist, zurückhaltend, aber mit so viel Wärme, dass ihr Aufblühen ebenso bewegend erfahrbar wird wie ihre sich bald ausbreitenden Ängste. Mag man auch nicht gleich Zugang zu dieser wortkargen und ernsten Figur finden, so wächst doch aufgrund von Chavleishvilis Spiel und des von Empathie getragenen, warmherzigen Blicks Naverianis zunehmend die Sympathie, bis man diese Frau für ihren Kampf um ein unabhängiges Leben einfach bewundern und ins Herz schließen muss.
Blackbird Blackbird Blackberry Schweiz / Georgien 2023 Regie: Elene Naveriani mit: Eka Chavleishvili, Temiko Chichinadze, Lia Abuladze, Teo Babukhadia, Mariam Didia, Mariam Gedenadze, Sopo Grigolashvili Länge: 110 min.
Läuft jetzt in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "Blackbird, Blackbird, Blackberry"
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