Ein junger Staatsanwalt soll in einer zentralanatolischen Kleinstadt einen politischen Skandal untersuchen, bekommt aber bald die Macht der einheimischen Elite zu spüren. – Vor dem Hintergrund einer in ihrer Kargheit beeindruckenden Landschaft entwickelt Emin Alper einen langsamen, aber durch seine konzentrierte Erzählweise fesselnden Thriller um provinzielle Machtstrukturen, Machismo und Populismus.
Ein gewaltiger Krater öffnet sich vor der Bezirksrichterin Zeynep (Selin Yeninci) und dem jungen Staatsanwalt Emre (Selahattin Pasali). So stark wurde hier das Grundwasser genutzt, dass die dadurch entstandenen Hohlräume einbrachen und nicht nur der Erdboden, sondern teilweise auch Häuser in der Tiefe versanken. Gleichzeitig bilden sich vor den örtlichen Brunnen lange Menschenschlangen, die mit Kanistern Wasser holen wollen. Um den politischen Skandal rund um diese Wasserkrise zu untersuchen, wurde der engagierte Staatsanwalt in die fiktive Kleinstadt Yaniklar geschickt.
Der vorige Staatsanwalt sei überstürzt abgereist, doch Emre will der Sache auf den Grund gehen. Auch eine Wildschweinjagd durch die Stadt, bei der die Teilnehmer*innen in die Luft schießen, will er nicht ungeahndet lassen, sondern die Schützen verhaften lassen.
Doch bald bekommt er die Opposition der lokalen Eliten zu spüren. Ein scheinbar freundliches Gespräch führen der Sohn des Bürgermeisters (Erol Babaoglu), der Anwalt ist, und sein Freund (Erdem Şenocak) zwar bei einem Besuch mit ihm. Im Grunde wollen sie aber nur austesten, ob Emre in ihrem Sinne agieren wird und für Bestechung zugänglich ist. Verpackt in vermeintlich harmlosen Smalltalk wird so unterschwellig Druck ausgeübt. Dennoch nimmt Emre die Einladung zu einem Abendessen ein, bei dem bald auch eine Roma als Tänzerin auftritt. Doch dann verliert Emre das Bewusstsein. War es der starke Raki oder wurden ihm Drogen in die Getränke gemischt?
Als er am nächsten Morgen verkatert in seiner Wohnung aufwacht, kann er sich an die vergangene Nacht nicht mehr erinnern. Der Polizist aber konfrontiert ihn nicht nur mit einem weiteren Sinkloch, sondern auch mit der Vergewaltigung der Roma, die Emre im Krankenhaus befragt.
Für ihn sind der Sohn des Bürgermeisters und dessen Freund die Täter und keine Scheu zeigt er diese verhaften zu lassen. Gleichzeitig suchen ihn aber Alpträume oder Erinnerungen an die Ereignisse der vergangenen Nacht heim, ohne dass diese wirklich Klarheit bringen würden. – Ist er in Wahrheit vielleicht selbst der Täter und ermittelt im Stile des klassischen Ödipus gegen sich selbst?
Unterstützung scheint er vom Herausgeber der lokalen Oppositionszeitung (Ekin Koç) zu erhalten, doch gleichzeitig benützt dieser Emre für seinen Feldzug gegen den amtierenden Bürgermeister. Wahlen stehen nämlich bevor und durch entsprechende Schlagzeilen könnte die Wiederwahl verhindert werden.
Sukzessive wird aber auch der Druck auf Emre erhöht. Denn er erhält nicht nur anonym Videos und Fotos zur vergangenen Nacht, sondern in einem Zeitungsartikel wird auch eine homosexuelle Beziehung zum Journalisten angedeutet, die in dieser machistisch-homophoben Gesellschaft nicht akzeptiert wird.
Ganz auf die Provinzstadt konzentriert und konsequent aus der Perspektive des Staatsanwalts erzählt, der in jeder Szene präsent ist, entwickelt Emin Alper ("A Tale of Three Sisters", "Abluka") in vier Kapiteln einen leisen Thriller, der zunehmend an Intensität gewinnt und in dem sukzessive die bedrohlichen Abgründe der Provinzgesellschaft, für die auch die Sinklöcher stehen, aufgedeckt werden.
Scharfe Kritik wird dabei nicht nur am Umgang mit den Roma geübt, die als Menschen zweiter Klasse behandelt werden, sondern abgerechnet wird auch mit dem Machismo, der im selbstherrlichen Auftreten der Elite und in der blutigen Wildschweinjagd sichtbar wird. Gleichzeitig arbeitet Alper auch eindrücklich heraus, wie das Volk unter dem Einfluss manipulativer Populisten zum aggressiven Mob wird, der auch vor Belagerung von Häusern und Plünderung nicht zurückschreckt: An die Stelle der Wildschweinjagd am Beginn tritt so am Ende eine Menschenjagd.
Atmosphärische Dichte entwickelt "Burning Days" dabei auch durch die starke Verankerung der Handlung in der in eindrucksvoll-wüstenhafter Landschaft gelegenen Provinzstadt. Wie Alper dabei den Film passend zur braunen Landschaft weitgehend in Brauntöne taucht, sorgt für eine beeindruckende visuelle Geschlossenheit. Dazu kommt ein starker Soundtrack, durch den die Thrillerspannung nicht unwesentlich gesteigert wird.
Burning Days - Kurak Günler Türkei / Frankreich / Deutschland / Niederlande / Griechenland 2022 Regie: Emin Alper mit: Selahattin Paşalı, Erol Babaoğlu, Selin Yeninci, Ekin Koç, Erdem Şenocak, Sinan Demirer, Hatice Aslan Länge: 129 min. Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan
Trailer zu "Burning Days"
Comments