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  • AutorenbildWalter Gasperi

Canción sin nombre


Im krisengeschüttelten Peru der späten 1980er Jahre versucht eine Frau mit Hilfe eines Journalisten ihr Baby, das ihr nach der Geburt in der Klinik gestohlen wurde, zurückzubekommen. – Ein in strengem Schwarzweiß gefilmtes bewegendes Drama über die Ohnmacht der Schwachen, das aber in der Zeichnung der peruanischen Verhältnisse gegen Ende ausfranst.


Schwarzweiße Fotos in alten Fernsehgeräten vermitteln einen Eindruck von der Lage in Peru im Jahr 1988: Nachrichten von der galoppierenden Inflation auf der einen Seite stehen auf der anderen der Aufruf des marxistisch-leninistischen Sendero Luminoso zum bewaffneten Widerstand gegenüber. Das quadratische Fernsehbild stimmt ebenso wie das Schwarzweiß schon auf die Ästhetik von Melina Leóns Debüt ein.


Auch hier sind die in strengem Schwarzweiß gehaltenen Bilder von Kameramann Inti Briones nahezu quadratisch. Eingeengt wirken dadurch die Charaktere und eindrücklich vermittelt León damit auch die Ohnmacht und den begrenzten Handlungsspielraum der unterprivilegierten indigenen Bevölkerung.


Bei einem Tanz werden zu naturreligiösen Riten die hochschwangere Georgina (Pamela Mendoza) und ihr Partner Leo zwar gesegnet, doch Glück ist ihnen keines beschieden. Während ihre abgeschiedene Hütte und der von Meeresrauschen begleitete mühsame Weg des Paares eine Sanddüne hoch symbolisch verdichtet für das schwere Leben der Protagonisten steht, wird ihre Arbeit auf dem Gemüsemarkt von Lima realistisch geschildert.


Vielversprechend klingt die Radiowerbung, die kostenlose Entbindung in einem Krankenhaus anpreist, doch als Georgina dieses Angebot annimmt, wird ihr das Neugeborene unmittelbar nach der Geburt entzogen. Verzweifelt pocht sie an die verschlossene Tür des Krankenhauses, doch niemand öffnet ihr.


Nicht nur dieses Bild steht emblematisch für ihre Ohnmacht und die Diskrepanz zwischen den sozialen Schichten, sondern auch der in starker Untersicht gefilmte lange Weg über eine Treppe hinauf zum Gerichtsgebäude, in dem sie Anzeige erstatten will. So wenig wie bei der Polizei nimmt man Georgina hier ernst, sodass sie sich an eine Zeitung wendet, bei der der Journalist Pedro (Tommy Párraga) sich ihres Falls annimmt.


Parallel erzählt León, die in ihrem Debüt einen Kinderraub verarbeitet, den ihr Vater 1981 als Journalist aufdeckte, zunächst von Georgina und Pedro, führt sie dann zusammen, um im zweiten Teil vorwiegend den Recherchen des Journalisten zu folgen. Doch auch Pedro stößt zunächst auf verschlossene Türen, kann dann aber doch etwas in Bewegung bringen.


Stark ist "Canción sin nombre", dessen Titel sich auf das finale namenlose Kinderlied Georginas bezieht, in seiner Bildsprache, zur wütenden Anklage passt auch die holzschnittartige Erzählweise, bei der weder die Handlung differenziert entwickelt noch plastische Charaktere mit einem persönlichen Hintergrund gezeichnet werden.


Zu viel will León aber gegen Ende, wenn sie auch noch eine homosexuelle Beziehung Pedros einbaut, um auf die homophobe Stimmung in Peru hinzuweisen, und auch noch Georginas Freund Leo in die terroristischen Aktivitäten des Sendero Luminoso, die sich auch gegen die traditionellen Feiern der Indigenen richten, abgleiten lässt.


Unübersehbar ist das Bemühen, ein möglichst umfassendes Bild der Verhältnisse im Peru der späten 1980er Jahre zu zeichnen, aber erzählerisch franst "Canción sin nombre" damit aus und verliert an Dichte. Zu grobschlächtig knallt die Debütantin im Finale dem Zuschauer diese weiteren Aspekte der peruanischen Gesellschaft hin, ohne diese überzeugend vorzubereiten oder weiterzuentwickeln. – Trotz dieser Einwände sorgen aber die ausdrucksstarken Schwarzweißbilder und die physisch sehr präsente Pamela Mendoza, die bewegend die Ohnmacht und die Verzweiflung Georginas vermittelt, dafür, dass dieses Debüt haften bleibt.


Läuft ab 2. Juli in den Schweizer Kinos - z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "Canción sin nombre"



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