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AutorenbildWalter Gasperi

Corpus Christi

Aktualisiert: 15. März 2021


Ein junger Ex-Häftling gibt sich in einem polnischen Dorf als Priester aus und konfrontiert die Menschen schonungslos mit ihren Fehlern. – Jan Komasas dritter Spielfilm ist keine heitere Köpenickiade, sondern ein dichtes, von einem großartigen Bartosz Bielenia getragenes Drama um Schuld und Vergebung, Macht und Moral.


Die wahre Geschichte des 19-jährigen Patryk Błędowskis, der sich 2011 drei Monate lang als Priester ausgab und Messen hielt, hat Mateusz Pacewicz zum Drehbuch inspiriert, doch die historischen Fakten sind unwichtig für den Film, um existentielle Fragen geht es Pacewicz und Regisseur Jan Komasa.


In ein Jugendgefängnis führen die ersten Szenen. Hier sitzt der 20-jährige Daniel (Bartozs Bielenia) eine Strafe für ein Vergehen ab, in das er erst später Einblick gewähren wird. Interesse am Katholizismus hat er in der Haft entwickelt und unterstützt als Ministrant den Priester, der den Häftlingen in der Predigt erklärt, dass jeder von ihnen überall im Alltag Priester sein könne. Gern möchte Daniel nach Entlassung das Priesterseminar besuchen, doch wegen seiner Vergehen wird dies nicht möglich sein.


Nicht nur in grünstichige Bilder tauchen Komasa und und sein Kameramann Piotr Sobocinski jr. diesen Auftakt, sondern auch in milchiges Licht und reduzieren die Farbpalette auf kalte Blau- und Grüntöne. Gering ist die Schärfentiefe, nur einzelne Figuren sind scharf im Bild, der Hintergrund unscharf. Durch markante Verlagerung der Schärfe wird der Blick des Zuschauers immer wieder gelenkt. Mit dieser visuellen Gestaltung evozieren Komasa und Sobocinski die Atmosphäre einer Zwischenwelt und verweisen damit auch auf das Spannungsfeld des Menschen zwischen Gut und Böse, zwischen Liebe und Hass. Gleichzeitig sperren sie mit – abgesehen von zwei Stellen – unbewegten Einstellungen die Figuren in ihrer Welt wie in einem Gefängnis ein.


Auch nach der Haftentlassung Daniels wird "Corpus Christi" nicht farbenfroher. Zur Resozialisierung soll der junge Mann eine Arbeit in einem Sägewerk in der polnischen Provinz annehmen. Wenig Lust hat er aber darauf, lässt sich stattdessen von der Glocke in die örtliche Kirche rufen. Als er dort von einer jungen Frau angesprochen wird, gibt er sich als Priester auf. Im Grunde meinte er das wohl als Scherz, doch vom alten Pfarrer wird er freudig aufgenommen. Diesen hat der fehlende Glaube seiner Gemeinde nicht nur in eine persönliche Krise gestürzt, sondern auch Zuflucht beim Alkohol suchen lassen. Als er auf Kur muss, soll Daniel die Pfarre während seiner Abwesenheit leiten.


Im intensiven, körperbetonten Spiel von Bartozs Bielenia, der in beinahe jeder Szene präsent ist, wird schon die Ambivalenz des Menschen spürbar. Einerseits ist dieser Daniel ein drahtiger tätowierter junger Mann, der seinen Körper mit Klimmzügen trainiert, raucht und ekstatisch zu Rockmusik tanzt, andererseits gibt er sich eben als mitfühlender Geistlicher, der sich für seine Gemeinde ehrlich einsetzt.


Über den Ablauf einer Beichte, muss er sich zwar zunächst im Internet informieren und unorthodox sind die Bußen, die er aufgibt. Unsicher steht er anfangs auch bei der Predigt in der Kirche, kommt aber in Fahrt, als er seine eigenen Fehler und Vergehen einfließen lässt. Weil er trotz seiner Hochstapelei in seinem Auftreten authentisch ist, spricht er nicht nur die älteren Messbesucher, sondern auch die Jugendlichen des Dorfes an, stößt sie aber auch mit der Offenheit, mit der er heiße Eisen angreift vor den Kopf.


So thematisiert er auch ein traumatisches Unglück, das das Dorf seit rund einem Jahr lähmt. Während nicht nur die Bewohner, sondern auch der Pfarrer nach diesem Unfall die Witwe eines Opfers ausgrenzte, bemüht sich Daniel um Versöhnung und fordert auf zu verzeihen. Den mächtigen Sägewerksbesitzer, der gleichzeitig Bürgermeister ist, ruft er dagegen zu Demut auf.


Der Ausgangspunkt mit der Hochstapelei Daniels mag Potential für eine Komödie im Stil von Carl Zuckmayers "Der Hauptmann von Köpenick" bieten und kurze Moment trockenen Humors fehlen auch nicht. Im Kern ist "Corpus Christi", dessen Originaltitel übersetzt das Fronleichnams-Fest bezeichnet, aber ein ungemein dichtes, vielschichtiges Drama.


Da wird einerseits die Amtskirche mit ihrem Regelwerk kritisiert und ihr wahres Christentum, das sich vor allem durch tiefe Menschlichkeit auszeichnet, gegenübergestellt. Andererseits arbeiten Komasa und Pacewicz bestechend die Ambivalenz des Menschen heraus. Die konsequente Gestaltung wirft den Zuschauer in dieses irdische Fegefeuer, in dem Trauer Hass auslöste und erst Vergebung ein menschliches Zusammenleben möglich macht. Nicht oder nicht nur übers klassische Gebet führt hier freilich der Weg zur Erlösung, sondern auch durch eine Schreitherapie.


Bunter wird damit "Corpus Christi" aber zum klassischen Happy End führt das dennoch nicht, denn im verstörenden Finale, das wiederum in blasse und kalte Farben getaucht ist, machen Komasa / Pacewicz in einer drastischen und brutalen Szene nochmals die Macht des menschlichen Aggressionstriebs und Rachedursts deutlich. Dennoch lässt das Schlussbild auf einen Ausweg hoffen.


Wird vom FKC Dornbirn am Mittwoch, den 21.4. und am Donnerstag, den 22.4. jeweils um 17.30 Uhr im Cinema Dornbirng gezeigt.


Trailer zu "Corpus Christi"


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