top of page
AutorenbildWalter Gasperi

Corsage


Fern von "Sissi"-Kitsch zeichnet Marie Kreutzer mit einer herausragenden Vicky Krieps in der Hauptrolle ein Porträt der österreichischen Kaiserin Elisabeth, die aus ihrem Rollenkorsett ausbrechen will.


Besorgt schauen die Kammerzofen zu, wenn Kaiserin Elisabeth in der Badewanne untertaucht und die Luft anhält. Den Wunsch nach einem Abtauchen aus dieser Welt kann man in diesem Auftakt ebenso sehen wie Suizidgedanken. Am Ende wird Marie Kreutzer dieses Bild in – zwar nicht historischer – aber radikalerer Weise wieder aufnehmen und wird die Kaiserin endgültig abtauchen lassen.


Durch den Film zieht sich aber auch das Binden des Korsetts, das am Beginn, in der Mitte und am Ende gezeigt wird. Unübersehbar steht dies nicht nur für die körperliche Zurichtung, sondern auch die gesellschaftliche Einengung. An Magersucht leidet die Kaiserin, von der alle erwarten, dass sie so schlank wie früher bleibt und kein Gramm zunimmt.


Doch nun feiert sie an Weihnachten 1877 ihren 40. Geburtstag, erreicht ein Alter, das der durchschnittlichen Lebenserwartung der Frauen des Volkes entspricht. Zunehmend unzufrieden ist sie mit dem monotonen höfischen Leben. Klar erklärt ihr nämlich ihr Mann Kaiser Franz Joseph (Florian Teichtmeister), dass sie nur zur Repräsentation da sei, Regieren allein seine Sache sei. Auf ihre Kommentare zur politischen Situation im Vielvölkerstaat reagiert er schroff.


Immer mehr entzieht sich Elisabeth so öffentlichen Anlässen, fällt bald gezielt in Ohnmacht, steht bei einem Bankett einfach auf und geht oder lässt eine ihrer Kammerzofen als ihr Double auftreten. Atmen sei wichtiger als lesen, erklärt sie ihrer Tochter Valerie und nimmt sie mit auf einen nächtlichen Ausritt. Doch sowohl Tochter als auch Sohn Rudolf sind schon so in der höfischen Etikette sozialisiert, dass sie kein Verständnis für die Ausbruchsversuche der Mutter haben.


Die Beziehung zu ihrem Mann ist längst erkaltet. In großem Abstand sitzen sie beim Essen am Tisch. Wie sich in diesem Bild der Zustand der Beziehung spiegelt, so besticht der ganze Film durch eine meisterhafte Kongruenz von Inhalt und Form. In der ruhigen Erzählweise und den vorwiegend statischen Einstellungen wird ebenso die beklemmende rigide Hofgesellschaft spürbar wie in der weitgehenden Reduktion der Farbpalette auf Grautöne, Weiß, Schwarz und Blau.


Dazu kommt, dass Kreutzer auf jeden Pomp verzichtet, die weitgehend leeren Räume Kälte ausstrahlen. Gleichzeitig erlaubt sich die Regisseurin hier aber auch historische Brüche, wenn man einmal einen Traktor oder moderne Brandschutzmauern im Bild sieht. Einen historischen Bruch stellt aber auch Elisabeths Interesse für den Film dar, denn die siebte Kunst wurde erst knapp 20 Jahre später erfunden. Mehrfach schneidet Kreutzer aber kurze schwarzweiße Stummfilmszenen ein, die wiederum vom Ausbruchswunsch der Kaiserin künden.


Und auch die reduziert, aber markant eingesetzte Musik mit sanften Songs der französischen Sängerin Camille brechen die historische Ebene auf, schließen Vergangenheit mit Gegenwart kurz.


Dies alles ist mit solchem Feingefühl und solcher Sorgfalt gestaltet, dass "Corsage" bruchlos dahinfließt. Durch Inserts gegliedert spannt sich so die Handlung von Weihnachten 1877 bis Herbst 1878. Sukzessive verabschiedet sich Elisabeth in diesem Zeitraum von ihrem bisherigen Leben, befreit sich von der strengen Diät, experimentiert mit dem neu entwickelten Heroin, reist mit ihren Zofen nach England und zu ihrem Cousin Ludwig II. von Bayern (Manuel Rubey) und schließlich nach Italien. Das vielleicht markanteste Signal für einen Bruch mit dem alten Leben ist das Abschneiden ihrer berühmten knöchellangen Haare.


Fern ist "Corsage" von Franz Marischkas "Sissi"-Schmonzetten, die in den 1950er Jahren Romy Schneider zum Star machten. Ein leises, aber intensives Frauenporträt ist Kreutzer hier gelungen. Genau kontrolliert ist der Erzählrhythmus, großartig ist die Bildgestaltung von Kamerafrau Judith Kaufmann, getragen wird "Corsage" aber von einer großartigen Vicky Krieps, die nicht nur den Anstoß zu dem Film gab, sondern auch als Executive Producer fungiert. Eindrücklich vermittelt sie die Unzufriedenheit Elisabeths und ihre Sehnsucht nach einem anderen Leben, legt aber auch negative Seiten an den Tag, wenn sie ihre Zofen arrogant herumkommandiert.


Corsage Österreich / Frankreich / Luxemburg / Deutschland 2022 Regie: Marie Kreutzer mit: Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Katharina Lorenz, Jeanne Werner, Alma Hasun, Manuel Rubey Länge: 114 min.



Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und im Feldkircher Kino Rio


Trailer zu "Corsage"



Comments


bottom of page