Mit dem Einbruch der sozialen Realität in das abgeschiedene Haus einer libanesischen Familie bauen sich auch zunehmend innerfamiliäre Spannungen auf. – Mounia Akl verbindet in ihrem ruhigen, aber genau beobachteten und hervorragend besetzten Spielfilmdebüt Kritik an den Missständen ihres Heimatlandes mit einer Familienanalyse.
Ein langsamer Schwenk über den Hafen von Beirut stimmt schon auf den ruhigen Erzählrhythmus von "Costa Brava, Lebanon" ein. Gleichzeitig erinnert dieser Einstieg aber natürlich auch an die verheerende Explosion am 4. August 2020, bei der über 200 Menschen getötet wurden und 300.000 ihre Häuser verlassen mussten. Eine Betonstatue wird auf einen Tieflader verladen und vom Hafengelände in eine Bergregion gefahren, während in den Nachrichten über die Müllkrise in der libanesischen Hauptstadt berichtet wird. Auch damit bezieht sich die 1989 in Beirut geborene Mounia Akl auf einen realen Missstand, sorgte doch 2015 die Müllkrise von Beirut international für Schlagzeilen.
Fern scheinen diese Probleme aber in der Bergwelt, in die sich die Familie Badri vor acht Jahren zurückgezogen hat. Autark leben der ehemalige Journalist Walid (Saleh Bakri) und die frühere Sängerin Souraya (Nadine Labaki), die sich bei einer Demonstration kennenlernten, hier mit Walids lungenkranker Mutter Zaina, der die Ärzte einst nur noch ein Jahr zu leben gegeben haben, und ihren beiden Töchtern Rim und Tala. Die Eltern bauen nicht nur Gemüse an und züchten Hühner, sondern unterrichten auch die Kinder selbst. Auch ein Pool fehlt nicht.
Abrupt wird die Idylle gestört. Denn mit der Ankunft der Betonstatue des Präsidenten wird auch die Errichtung einer Mülldeponie verkündet, die streng ökologischen Grundsätzen entsprechen soll. Bald rücken Bagger an, Erdarbeiten setzen ein, auch mit einer Sprengung geht man gegen das Gelände vor.
Auch Sabotageakte des Vaters können die Errichtung der Deponie nicht stoppen und zunehmend werden die Lebensbedingungen schwieriger. Nur noch mit Gasmasken kann sich die Familie bewegen, als Müll verbrannt wird.
Doch mit den äußeren Spannungen treten zunehmend auch unterschiedliche Lebensvorstellungen innerhalb der Familie zutage. Während die siebenjährige Rim ganz am Vater hängt und seine Ideen verinnerlicht hat, knüpft nicht nur Oma Zaina Kontakt zu einem älteren Arbeiter, um von ihm ein Handy zu bekommen, sondern auch bei der 17-jährigen Tala weckt ein junger Umweltingenieur sexuelle Interessen.
Zunehmend tritt auch der autoritäre Charakter Walids zutage, der Familie und Leben auf dem Anwesen ganz nach seinen Vorstellungen lenken will und glaubt, mit Videos von den Arbeiten an der Deponie, die Öffentlichkeit aufrütteln zu können. Sukzessive führt das auch zu Konflikten mit seiner Frau Souraya, die sich wieder nach einem Leben in der Stadt sehnt.
An Ursula Meiers "Home", in dem das Leben einer Familie an einer halbfertigen Autobahn durch Wiederaufnahme der Bauarbeiten erschüttert wird, erinnert "Costa Brava, Lebanon" im Grundplot, andererseits in den Fragen von Familie und individuellen Wünschen auch an Matt Ross´ "Captain Fantastic". Mit ihrem hervorragenden Ensemble und konzentriert auf das Anwesen, das der Film nie verlässt, arbeitet Mounia Akl mit genauer und detailreicher Schilderung das Spannungsfeld von Idylle und Gefängnis, von Schutzraum und Enge heraus.
Verurteilt wird dabei nicht, sondern alle Mitglieder der Familie kommen in der einfühlsamen Schilderung zu ihrem Recht. Und mit dem Besuch von Walids Schwester Alia, die nach Kolumbien emigriert ist, kommt eine weitere mögliche Reaktion auf die vielen Missstände im Libanon, die klar und unmissverständlich angesprochen werden, ins Spiel. Für Walid und Souraya scheint das freilich keine Option. Wie es in ihrem Leben weiter gehen wird, lässt "Costa Brava, Lebanon" aber klugerweise offen und leitet so die Frage nach richtigem und sinnvollem Verhalten angesichts sozialer Missstände sei es im Libanon oder anderswo an das Publikum weiter.
Costa Brava, Lebanon Libanon 2021 Regie: Mounia Akl mit: Nadine Labaki, Saleh Bakri, Yumna Marwan, François Nour, Liliane Chacar Khoury, Länge: 106 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen
Trailer zu "Costa Brava, Lebanon"
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