top of page
AutorenbildWalter Gasperi

Cranko

Der südafrikanische Choreograph und Tänzer John Cranko führte das provinzielle Stuttgarter Ballett in den 1960er Jahren zu Weltberühmtheit: Mit einem großartigen Sam Riley in der Titelrolle zeichnet Joachim A. Lang ein bewegendes Porträt des vom Tanz besessenen und visionären, aber auch verzweifelten homosexuellen Künstlers.


Persönlichkeiten im Spannungsfeld von Privatleben und ihrem Wirken haben es Joachim A. Lang angetan. In "Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm" (2018) verknüpfte er Bertolt Brechts Auseinandersetzung mit den Produzenten bei der Verfilmung seines wohl berühmtesten Werks mit Brechts Leben vor dem Hintergrund der zunehmenden Macht der Nationalsozialisten. In "Führer und Verführer" (2024) zeichnete er ein Porträt von Joseph Goebbels zwischen Privatleben und NS-Manipulations- und Propagandastrategien.


Auch in "Cranko" verbindet Lang Leben und Kunst, wenn für den Choreographen und Tänzer John Cranko (1927 – 1973) immer wieder alltägliche Begegnungen auf Straßen oder in einem Park in Ballettszenen übergehen. Wie sehr für den Südafrikaner Tanz das Leben bestimmte, macht Lang schon im Auftakt deutlich, wenn sich in seiner Pupille eine Ballettszene spiegelt und die Zuschauer:innen quasi in den Kopf des Choreographen eindringen. So manieriert diese Szenen auch sind, so wirken sie doch.


Lang konzentriert sich ganz auf die Stuttgarter Jahre Crankos und lässt seinen Film 1960 mit dessen Flug von London, wo er nach einer Anzeige wegen "homosexueller Vergehen" zahlreiche Demütigungen bis hin zu einem Arbeitsverbot ertragen musste, in die Hauptstadt Baden-Württembergs einsetzen. Nur wenige, kurze Rückblenden bieten Einblick in die Erfahrung der Apartheid in Südafrika und die gescheiterte Ehe seiner Eltern.


Die Taxifahrt zum Theater wird nicht nur genützt, damit Cranko dem Fahrer von seiner Arbeit in London erzählen kann, sondern auch um den einfachen Mann zu einem Ballettbesuch einzuladen. Wie dieser später bei einer Aufführung von "Romeo und Julia" in Tränen ausbricht, ist zwar eine kitschig-plakative Szene, kann aber prägnant vermitteln, dass Ballett nicht nur etwas für ein gebildetes Publikum ist, sondern mit seinen Emotionen jeden bewegen kann.


Am Staatstheater Stuttgart, das Max Reinhardt einst als das schönste Theater der Welt bezeichnete, findet Cranko im Intendanten Walter Erich Schäfer (Hanns Zischler) einen Förderer, der ihm weitgehend freie Hand lässt. Dennoch dürfen Szenen nicht fehlen, in denen sich der Choreograph mit seiner Entschlossenheit und Besessenheit gegen Bürokratie und Theaterregeln durchsetzen muss.


So erreicht er, dass die Brasilianerin Marcia Haydee, die Schäfer für hässlich und zu alt hält, nicht nur in die Compagnie aufgenommen wird, sondern auch seine Primaballerina wird. Gegen den Willen Schäfers setzt er auch eine Neuinszenierung von "Romeo und Julia" durch, obwohl dieses Stück erst drei Jahren zuvor in Stuttgart aufgeführt worden war.


Lang zeichnet Cranko als genialen Künstler, der von seiner Kunst besessen ist und der mit seiner Leidenschaft seine Tänzer:innen, in denen er seine Familie sieht, mitreißt. Sam Riley dominiert in dieser Rolle den Film und ist in jeder Szene präsent. Die Personen, die ihn umgeben, gewinnen dagegen wenig Profil, dienen in erster Linie dazu ihm zuzuspielen und sein Profil zu schärfen.


Eindrücklich macht der 45-jährige britische Schauspieler aber nicht nur die künstlerische Genialität und das Perfektionsstreben Crankos spürbar, sondern vermittelt auch intensiv dessen Tendenz zu cholerischen Ausbrüchen, sowie seine Einsamkeit und seine Sehnsucht nach einer festen Beziehung. Lang, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, spart dabei auch die zunehmende Alkoholsucht, die Depressionen und die Selbstmordversuche des homosexuellen Künstlers nicht aus.


Mit kurzen Szenen von seinen wechselnden Affären wird ein Einblick in dieses unglückliche Privatleben geboten, im Zentrum steht aber das künstlerische Schaffen. Kein mit Fakten gespicktes Biopic entwickelt Lang hier, verzichtet auf Jahreszahlen und konzentriert sich auf die Proben der einzelnen Stücke und die – zumeist – gefeierten Aufführungen.


Mitreißend sind so auch vor allem die Ballettszenen, bei denen der Regisseur auf die aktuelle Compagnie des Stuttgarter Balletts zurückgreifen konnte. So werden Tänzer:innen wie Elisa Badenes, Friedemann Vogel und Jason Reilly gleichzeitig zu Schauspieler:innen und mit entfesselter Kamera vermittelt Philip Sichler die Faszination und mitreißende Kraft des Balletts.


Lust auf diese Kunstform weckt so "Cranko", bietet mit den verschiedenen Choreographien aber gleichzeitig auch Einblick in die Leidenschaft und visionäre Kraft des Südafrikaners. Mit seinen Choreographien von "Romeo und Julia" nach William Shakespeare (1962) und "Eugen Onegin" nach Alexander Puschkin (1965) sorgte er so für das "Stuttgarter Ballettwunder", das der Compagnie sogar eine Einladung in die New Yorker Metropolitan Opera bescherte. Wie Lang dieser USA-Reise mit schwarzweißem Archivmaterial Authentizität verleihen will, wirkt überflüssig. Geschickt baut er aber vor der Aufführung in der Met mit der Nervosität sowohl der Compagnie als auch Crankos Spannung auf, ehe sich diese in einem Triumph entlädt.


Aber Lang zeigt Cranko auch als politischen Künstler, wenn er angeregt von seinen eigenen Jugenderfahrungen während der Apartheid und einer Aufführung von Peter Weiss´ Auschwitz-Stück "Die Ermittlung" seine letzte Choreographie "Spuren – Traces" entwickelte, die an die KZ und NS-Verbrechen erinnert. Knapp gehalten mag die ablehnende Reaktion des Publikums auf diese Produktion sein, dennoch verdichtet sich hier "Cranko" auch zu einem Zeitbild der Verdrängung der NS-Zeit in Deutschland bis in die 1970er Jahre.


Berührend werden schließlich am Ende dieses packenden Ballettfilms am Grab von Cranko, der 1973 während eines Flugs von den USA nach Deutschland an einer allergischen Reaktion auf eine Schlaftablette erstickte, auch die Filmschauspieler mit den realen Tänzer:innen wie Marcia Haydee, Birgit Keil und Egon Madsen zusammengeführt.

 

 

Cranko

Deutschland 2024 Regie: Joachim A. Lang mit: Sam Riley, Hanns Zischler, Friedemann Vogel, Elisa Badenes, Jason Reilly, Marti Fernandez Paixa Länge: 128 min.



Läuft jetzt in den österreichischen Kinos.


Trailer zu "Cranko"



 

Comentarios


bottom of page