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AutorenbildWalter Gasperi

Dahomey

Mati Diop spürt in ihrem hybriden Dokumentarfilm, der bei der heurigen Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, den Folgen des Kolonialismus nach und wirft Fragen zur Restitution von im 19. Jahrhunderten geraubten Kunstwerken auf.


Die 1982 in Paris geborene Mati Diop wuchs in einer französisch-senegalesischen Familie auf. Wie ihr damit die Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld der beiden Kulturen in die Wiege gelegt war, so prägten wohl auch der als Musiker und Songwriter arbeitende Vater, der traditionelle senegalesische Volksmusik mit moderner Popmusik und Jazz mischt, und die als Fotografin und Kunsthändlerin arbeitende Mutter ihre künstlerische Entwicklung. Zudem war ihr Onkel der 1998 verstorbene Djibril Diop Mambéty, der mit "Touki Bouki" (1973) Regisseur eines zentralen Spielfilms des afrikanischen Kinos ist.


Schon in ihrem in Cannes preisgekrönten Spielfilmdebüt "Atlantique" (2019) verweigerte sich Diop dem Realismus, sondern verband Sozialdrama und Geistergeschichte zu einem ebenso poetischen wie bildstarken, traumhaften Film über Ausbeutung im Senegal, Flucht und weibliche Emanzipation. Mit den Konventionen des Dokumentarfilms bricht die 42-jährige nun auch in "Dahomey".


Mit blechern-verfremdeter Stimme meldet sich hier aus einer dunklen Kiste König Ghezo (1797 – 1858) in der indigenen Sprache Fon zu Wort. Nicht nur seine Statue, sondern 7000 Kunstwerke wurden in den 1890er Jahren von den französischen Kolonialtruppen in Dahomey, dem heutigen Benin, beschlagnahmt und nach Frankreich transportiert. Über 100 Jahre lang wurden die Objekte im Musée d´Ethongraphie du Trocadéro (heute Musée de l´Homme) und ab 2000 im Musée du Quai Branly aufbewahrt und zum Teil ausgestellt.


Diskussionen über die Rückgabe der geraubten Kulturgüter setzten schon mit der Entkolonialisierung in den 1960er und 1970er Jahren ein, doch erst im November 2021 wurden 26 Kunstwerke des Königreichs Damohey an Benin zurückgegeben.


Ghezo thematisiert diese lange Gefangenschaft im Exil, sein Gefühl der Fremdheit, Verlorenheit und Entwurzelung in Frankreich, aber auch seine Angst vor der Rückkehr in ein ihm inzwischen fremd gewordenes Land. Aber er kritisiert auch die verschwindend kleine Zahl der Kunstwerke, die im Verhältnis zur Gesamtzahl der geraubten Artefakte zurückgegeben werden und dass ihm mit der Bezeichnung als "Kunstwerk Nummer 26" seine Persönlichkeit und Identität geraubt wurde.


Auf der Bildebene dokumentiert Diop parallel zu diesen Gedanken des Königs akribisch, wie die Kunstwerke verpackt, ins Flugzeug verladen und in Benin, begleitet von jubelnden Massen am Straßenrand, an ihren neuen Standort gebracht werden. Dort werden sie wieder ausgepackt und ihr Zustand festgehalten, ehe eine Diskussion an der Universität von Abomey-Calavi in Benin ins Zentrum rückt.


Kern des nur 67-minütigen Films ist diese Debatte, die von Diop für den Film organisiert wurde. Sie lässt dabei Meinungen von Student:innen aufeinanderprallen, in denen einerseits das Fortwirken des Kolonialismus aufgedeckt und andererseits der Ruf nach Stärkung der eigenen afrikanischen Identität gefordert wird. Da wird nicht nur Kritik an der Alibi-Aktion Frankreichs geübt, wenn die Kolonialmacht gerade mal einen Bruchteil der geraubten Kulturgüter zurückgibt, sondern auch ein Umdenken in Benin und ganz Afrika wird gefordert.


Statt weiterhin nämlich mit Disney-Filmen und "Avatar" sozialisiert zu werden und europäische Lehrinhalte vermittelt zu bekommen, sollen vielmehr alle Schüler:innen die zurückerstatteten Kunstwerke besuchen und in die regionale Kultur und Geschichte eintauchen. Aber auch die einfachen Arbeiter:innen sollen durch Lohnerhöhung die Gelegenheit zum Besuch des Museums bekommen und so ihre afrikanische Identität finden und stärken.


So verbindet der ganz aus afrikanischer Perspektive erzählte, vielschichtige hybride Dokumentarfilm die Präsentation herausragender Kunstwerke der indigenen Kultur mit dem Ruf nach stärkerer Besinnung der Afrikaner:innen auf ihre kulturellen Wurzeln, deckt aber auch das Fortwirken kolonialer Strukturen auf. Dahomey Benin / Frankreich / Senegal 2024 Regie: Mati Diop Dokumentarfilm Länge: 67 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.



Trailer zu "Dahomey"



 

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