Unruhige Handkamera, abrupte Schwenks, kein künstliches Licht und grobkörnige Bilder. – Auch 24 Jahre nach seiner Uraufführung hat der prototypische Dogma-Film, in dem Thomas Vinterberg schonungslos die Abgründe einer bürgerlichen Familie aufdeckt, nichts von seiner Intensität und Kraft verloren. Bei Studiocanal ist der moderne Klassiker auf DVD erschienen.
Ein filmisches Keuschheitsgelübde enthielt das 1995 von den dänischen Regisseuren Lars von Trier und Thomas Vinterberg unterzeichnete Manifest "Dogma 95": Jede Künstlichkeit war verpönt, Wahrhaftigkeit des Ausdrucks wurde zum obersten Ziel erklärt. Nur gegenwärtige und alltägliche Geschichten sollten erzählt werden und ausschließlich an Originalschauplätzen sollte gedreht werden. Handkamera, Verzicht auf künstliches Licht und extradiegetische Musik sollten die Authentizität verstärken.
Drei Jahre später präsentierten Lars von Trier mit "Idioten" und Thomas Vinterberg mit "Festen – Das Fest" in Cannes die ersten Filme dieser Bewegung. Statt den Regisseur zu nennen, werden die Filme mit dem Dogma-Zertifikat eingeleitet. "Das Fest" trägt die Nummer eins – und war gleichzeitig einer der radikalsten und dichtesten Filme von "Dogma 95".
Die Handlung setzt mit Christian (Ulrich Thomsen) ein, der zu Fuß auf einer Landstraße zum Anwesen seines Vaters (Henning Moritzen) unterwegs ist. Dort soll groß der 60. Geburtstag des Familienoberhaupts gefeiert werden. Auch Christians Bruder Michael (Thomas Bo Larsen) trifft mit seiner Familie ein, obwohl er aufgrund eines Fehlverhaltens bei einem vorigen Familienfest nicht eingeladen ist. Dazu kommt ihre Schwester Helene (Paprika Stehen), deren afrikanischer Freund später eintrifft. Am Rande angesprochen wird mehrfach, dass ihre Schwester Linda vor wenigen Monaten Selbstmord beging. In deren Badezimmer findet Helene bald einen Abschiedsbrief.
Der deutsche Zeremonienmeister, der durch das Fest führen soll, und die anderen Gäste gewinnen kaum Profil. Der Fokus liegt ganz auf den drei Geschwistern, ihrem Vater und ihrer Mutter. Dem zurückhaltenden und als psychisch labil geltenden Christian, steht der cholerische und sich bald als Rassist erweisende Michael gegenüber. Helene dagegen agiert zurückhaltend.
Von Anfang an versetzen die unruhige Handkamera von Anthony Dod Mantle, abrupte Schnitte, der Wechsel zwischen Totalen und Nahaufnahmen direkt ins Geschehen und packt. Vor allem die Emotionen und Aggressionen von Michael, der immer wieder heftige Auseinandersetzungen mit seiner Frau hat, werden damit nach außen gekehrt.
Keine sorgfältig kadrierten Einstellungen gibt es hier, sondern verzerrt sind teils die Perspektiven, angeschnitten die grobkörnigen und teils unscharfen Bilder. Die Rohheit der Form steht in scharfem Kontrast zur Festlichkeit des Anlasses, korrespondiert aber mit den Brüchen und Abgründen hinter der scheinbar gutbürgerlichen Fassade.
Heiter leitet Christian beim Festessen zwar seine Rede mit dem Titel "Wenn Vater badete" ein, wirft ihm dabei aber vor, ihn und seine Schwester Linda als Kinder immer wieder sexuell missbraucht zu haben. Zwar setzt danach kurz betretenes Schweigen ein, doch bald wird die Rede als Scherz abgetan und man geht wieder zum Feiern über. Doch Christian lässt nicht locker, holt nochmals zu einer Rede aus und bezeichnet seinen Vater als Mörder seiner Schwester und bezichtigt die Mutter der Mitwisserschaft.
Nun will man den Störenfried loswerden, doch als Helene Lindas Abschiedsbrief vorliest, kann die Fassade nicht mehr aufrecht gehalten werden: Die Festgesellschaft erstarrt endlich in Schweigen, der Vater wird schließlich gestürzt und aus dem Haus vertrieben.
Dichte gewinnt diese klassische Familientragödie nicht nur durch die rohe Form, die "Das Fest" teilweise dokumentarisch wirken lässt, sondern auch durch die konsequente Einhaltung von Ort und Zeit sowie die Konzentration auf die Eltern und ihre drei Kinder. Schonungslos kann Vinterberg so, unterstützt von einem großartigen Ensemble, diese Familie sezieren, prangert aber auch das Wegschauen der Mutter und der Gesellschaft an.
Ganz an die Dogma-Regeln hält sich dabei aber auch Vinterberg nicht, denn einige Vogelperspektiven entsprechen keineswegs einem natürlichen Blick und auch mit kurzen dunklen Erinnerungen Christians an seine verstorbene Schwester bricht er das Keuschheitsgelübde. Letztlich gewinnt "Das Fest" aber auch dadurch, dass sich der Regisseur nicht konsequent an selbst gesetzte Beschränkungen hält, an Kraft.
Und wo andere Dogma-Filme trotz allem Realismus immer auch hoffnungsvoll sind, da ist "Das Fest" eine unerbittliche Tragödie. Erst am Ende deutet sich zumindest für Christian eine Befreiung und ein Neubeginn an.
An Sprachversionen bietet die bei Studiocanal erschienene DVD die dänische Originalfassung, zu der deutsche Untertitel zugeschaltet werden können, und die deutsche Synchronfassung sowie deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Die Extras umfassen einen Audiokommentar von Thomas Vinterberg, einen einstündigen Dokumentarfilm über den Drehbuchautor Mogens Rukov sowie den deutschen und den dänischen Trailer.
Trailer zu "Das Fest - Festen"
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