top of page
  • AutorenbildWalter Gasperi

Das Wiegenlied vom Totschlag – Soldier Blue

Ralph Nelson prangert in seinem 1970 entstandenen Western nicht nur schonungslos den Genozid an den Native Americans, sondern indirekt auch die US-Massaker im Vietnamkrieg an. Bei Studiocanal ist der durch seine Härte verstörende Spielfilm in 4K Restaurierung auf Blu-ray  und in einem limitierten Steelbook auf 4K Ultra HD und Blu-ray erschienen.


Schon mit einem Vorspanntext macht Ralph Nelson deutlich, dass er von den dunklen Seiten des Menschen und den Gräueln des Kriegs erzählen wird. Welch harten Ton er dabei anschlagen wird, vermittelt wenig später eine Szene, in der bei einem Überfall der Cheyenne auf einen kleinen Trupp von Soldaten in Großaufnahme gezeigt wird, wie eine Kugel die Wange eines Soldaten zerfetzt.


Scheint der Film mit diesem Massaker, das nur die weiße Marivel "Cresta" Lee (Candice Bergen), die zwei Jahre bei den Cheyenne lebte, nun aber von den Soldaten in die Welt der Weißen zurückgebracht werden sollte, und der junge Soldat Honus Gant (Peter Strauß) überleben, ein Bild von den grausamen Cheyenne zu zeichnen, wird sich das mit "Crestas" Perspektive langsam ändern.


Sie macht Honus – und damit dem Publikum – auf ihrem langen Weg durch die weitgehend menschenleere Prärie Schritt für Schritt klar, dass die Cheyenne gar keine andere Möglichkeit haben als sich mit Waffengewalt gegen ihre Verdrängung zu wehren und dass die eigentlichen Aggressoren die Weißen sind. Konzentriert auf diese beiden Charaktere, reiht Nelson im Stil eines klassischen Roadmovies Episoden aneinander, in denen er zeigt, wie "Cresta" aufgrund ihrer Erfahrungen bei den Cheyenne in der Wildnis dem jungen Soldaten weit überlegen ist.


Wie die Protagonisten von Arthur Penns fast zeitgleich entstandenem "Little Big Man" (1969) und Kevin Costners 20-Jahre später gedrehtem "Dances with Wolves" (1990) kann diese "Cresta" als Wanderin zwischen den beiden Welten einen Perspektivenwechsel vollziehen und kennt die Qualitäten der Lebenswelt der Native Americans ebenso wie deren Ängste.


Lektionen erteilt sie so auch Gant beim Aufspüren von Nahrung ebenso wie im Umgang mit einem kleinen Trupp von Native Americans, zeigt ihm, wie man einen Verfolger in die Irre führt oder eine Wunde mit Kräutern behandelt. Wie Gant soll dadurch auch das Publikum seine Vorurteile überwinden und die Native Americans neu sehen.


Gleichzeitig will Nelson mit doch etwas irritierenden komödiantischen Momenten, vor allem aber mit der resoluten "Cresta" auch ein junges Publikum ansprechen. Sie steht mit ihrer Unangepasstheit und Derbheit unübersehbar für die Hippie-Bewegung der Entstehungszeit des Films, lehnt sich wie diese gegen gesellschaftliche Konventionen und Regeln auf.


Gerade durch den über weite Strecken lockeren Erzählton wirkt aber auch das finale Massaker, mit dem sich die US-Armee für den Angriff der Cheyenne am Beginn des Films rächen will, umso schockierender. Obwohl sich der Häuptling nicht nur mit weißer, sondern auch mit US-Flagge der heranrückenden Kavallerie nähert, gibt der Kommandant den Befehl zum Angriff und lässt nach der Schlacht das Dorf dem Erdboden gleich machen.


Drastisch zeigt Nelson hier, wie Frauen und Kinder niedergetrampelt, wie Köpfe abgeschlagen, Brüste abgeschnitten werden, wie vergewaltigt wird, abgehackte Körperteile wie Trophäen durchs Lager getragen werden und Kinder und Frauen, die in einer Geländemulde Schutz suchten, zusammengeschossen werden.


Teilweise scharf kritisiert wurde bei der Erstaufführung die Drastik der Darstellung, doch diese scheint aus heutiger Sicht nötig, um dem Schock über die Bestialität der Weißen nachhaltige Wirkung zu verleihen. Verstärkt wird die Wut dabei noch durch die abschließende Rede des Kommandanten, der das Massaker als Heldentat darstellt und seine Soldaten für ihre Tat rühmt.


Gleichzeitig verankert zu einem Schwenk über das niedergebrannte Dorf ein Schlusskommentar, der an das Massaker am Sand Creek erinnert, bei dem am 29.11. 1864 von der Kavallerie laut Film 500 – laut Wikipedia 133 – Native Americans, darunter vor allem Frauen und Kinder getötet wurden, das Gezeigte in der historischen Realität.


Unübersehbar ist aber auch, dass Nelson im Jahr 1969/70 mit seinem Film nicht nur an die Gräuel an den Native Americans erinnert wollte, sondern dass er mit "Das Wiegenlied vom Totschlag" auch die Massaker der US-Soldaten im Vietnamkrieg, vor allem das Massaker von Mỹ Lai am 16.3. 1968, anprangern wollte: Hier wie dort kamen die Weißen in ein Land, das schon bewohnt war und gingen rigoros gegen die einheimische Bevölkerung vor, und zeitlos ist dieser Western in seiner Anklage menschlicher Barbarei, die auch heute noch immer wieder völlig Unbeteiligte und vielfach Frauen und Kinder trifft.


An Sprachversionen verfügen die bei Studiocanal in 4K Restauration erschienene Blu-ray und das limitierte Steelbook mit 4K Ultra HD und Blu-ray über die englische Original- und die deutsche und französische Synchronfassung. Dazu gibt es deutsche und französische Untertitel sowie englische Untertitel für Hörgeschädigte.


Die Extras umfassen ein deutsch untertiteltes zwölfminütiges Interview mit der Hauptdarstellerin Candice Bergen und einen deutsch untertitelten Audiokommentar des Filmkritikers Steve Mitchell und des Filmemachers Howard S. Bergen, die zwar selten konkret auf Filmszenen eingehen, aber umfangreiche Hintergrundinformationen zu Film, Regisseur, Kameramann und Schauspieler:innen bieten.



Trailer zu "Das Wiegenlied vom Totschlag - Soldier Blue"



 

Comments


bottom of page