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AutorenbildWalter Gasperi

"Davos" beim Dokumentarfilmfestival Visions du Réel

Aktualisiert: 13. Apr. 2021


Ab 5.2. 2021 Streaming auf vodclub.online: Während andere Filmfestivals einen Teil ihres Programms zum Streaming anbieten, stellt das alljährlich in Nyon am Genfersee stattfindende Dokumentarfilmfestival Visions du Réel gleich das komplette Programm - und dazu noch kostenlos - online. So kann beispielsweise auf der Festivalseite vom 25.4. bis 2.5. auch "Davos" gesichtet werden, in dem Daniel Hoesl und Julia Niemann mit kommentarlosen Momentaufnahmen des Alltags in Davos und dem Weltwirtschaftsforum als Hintergrund und Referenzrahmen ein ebenso kühles wie präzises Bild der Widersprüche der heutigen Welt und der hohlen Versprechungen des WEF zeichnen.


2020 fand das 1971 vom Deutschen Wirtschaftswissenschaftler Klaus Schwab gegründete World Economic Forum (WEF) zum 50. Mal in Davos statt. Erklärtes Ziel der alljährlich im Januar stattfindenden Veranstaltung ist es, den Zustand der Welt zu verbessern. Daniel Hoesl und Ko-Regisseurin Julia Niemann spüren in kommentar- und musiklosen Momentaufnahmen nach, ob und wie sich diese Vision gerade am Ort dieses Treffens auswirkt. Auf jede Wertung verzichtet das Regie-Duo, macht aber im konsequent Unverbundenen der einzelnen Szenen erfahrbar, dass sich der Dialog, für den das WEF stehen will, sich im Alltag nicht findet, sondern dieser vielmehr von Isolation und großen Gegensätzen bestimmt ist.


Kein Zufall ist es hier, dass am Beginn auf dem Hof der Familie Ambühl ein Kalb tot geboren wird, denn die Familie kämpft angesichts niedriger Milchpreise ums wirtschaftliche Überleben. Im Ludwig Kirchner Museum referiert dagegen eine Führerin über die moderne Vision, die der Bürgermeister in den 1920er Jahren von Davos hatte und die Ernst Ludwig Kirchner in seinen Bildern als Gegenpol zum morbiden Image durch Thomas Manns "Der Zauberberg" umsetzen sollte.


Während auf den verschneiten Pisten britische Parlamentarier gegen Schweizer Politiker in einem Skirennen antreten und sich abends beim Dinner über das Schweizer und das britische politische System unterhalten, kümmern sich Betreuer in einem Flüchtlingslager um junge Asylanten. Und einem Manager, der in einem Luxushotel lebt und per Handy seine internationalen Geschäfte abwickelt, steht das migrantische Reinigungspersonal einer Bar gegenüber, das in einem tristen und kalten Betonkeller wohnt.


Traditionelle bäuerliche Lebensweise und moderne Wirtschaft treffen so in den Szenen ebenso ständig aufeinander wie mit High Society und randständigen Gruppen die Parallelität und Gleichzeitigkeit gegensätzlicher Gruppen. Und im Hintergrund überlagert schattenhaft das WEF den Alltag im 11000 Einwohner zählenden Luftkurort, der 2018 für eine Erhöhung des Sicherheitsbudgets auf neun Millionen Franken für das Treffen der Staatsmänner, Bank- und Wirtschaftsexperten stimmte.


Diesem Auflauf der Prominenz, der von Modenschau und thailändischem Abend begleitet wird, stehen aber wieder vorwiegend junge Aktivisten gegenüber, die auf Bannern und mit Sprechgesängen gegen den Kapitalismus protestieren und einen Systemwandel fordern.

Wie Pausen stellen Hoesl und Niemann, die vom Januar 2018 bis Mai 2019 in Davos drehten, immer wieder Landschaftsaufnahmen und Stadtansichten zwischen diese Szenen. Kein Wort ist dabei nötig, sondern die Bilder sprechen für sich, wenn sich die Geschäfte während des WEF verwandeln und aufgemotzt werden, danach diese Fassade aber wieder abgenommen wird.


Wie es zwischen der Bauernfamilie, dem Manager, dem Asylantenheim und den Reinigungskräften keine Verbindungen gibt, so sind auch bei den Geschäften Alltag und WEF zwei Phasen, zwischen denen es keine Berührungspunkte gibt. Allein durch die kühle Beobachtung und die präzise Bildsprache, die an die Filme von Nikolaus Geyrhalter erinnern, sowie die perfekte Montage der Szenen zeichnen Hoesl / Niemann so auf dem engen Raum von Davos sukzessive dichter und klarer das Bild einer zerrissenen Welt, in der jede Verbindung zwischen den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger und der durchschnittlichen Bevölkerung und den Randständigen völlig abgeschnitten ist.


Gerade dadurch dass sich die Filmemacher dabei auf die Beobachterposition zurückziehen und das Urteil dem Zuschauer überlassen, regt dieser Dokumentarfilm, der auch durch seine formale Geschlossenheit und Konzentriertheit beeindruckt, zum Nachdenken an und wirkt lange nach.


Spielboden Dornbirn: 17.4., 17 Uhr

Trailer zu "Davos"



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