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Filmbuch: Der britische Film

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi
"Der britische Film" bietet einen kompakten Überblick über die britische Filmgeschichte
"Der britische Film" bietet einen kompakten Überblick über die britische Filmgeschichte

Jörg Helbig bietet in dem im Münchner Verlag edition text + kritik erschienenen fünften Band der Reihe "Filmgeschichte kompakt" auf 130 Seiten einen Überblick über die britische Filmgeschichte.


Wie kann man auf 130 kleinformatigen Seiten einen Überblick über die 130-jährige britische Filmgeschichte bieten. Der Anglist und Romanist Jörg Helbig, emeritierter Professor der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, ist dafür sicher der geeignete Autor, hat er doch schon 1999 eine über 300-seitige "Geschichte des britischen Films" verfasst.


Angesichts der zunehmenden Globalisierung definiert Helbig zunächst einmal britische Filme als Werke, die sich aufgrund von Thematik, Schauspieler:innen und Filmcrew dem Vereinigten Königreich zuordnen lassen. Chronologisch spannt er anschließend den Bogen in sieben Kapiteln von der Stummfilmzeit und dem frühen Tonfilm über die 1940er Jahre, den Horrorfilm und die New Wave der 1950er Jahre sowie die Swinging Sixties und die Krise der 1970er Jahre bis zur neuen Blüte ab den 1980er Jahren mit Heritage-Kino, RomCom und Sozialdrama und dem Gegenwartskino ab 2001.


In kurzen drei bis maximal siebenseitigen Unterkapiteln wird dabei Einblick in einzelne Strömungen und Genres, aber auch Karrieren von Regisseuren geboten. Helbig richtet den Blick auf Stummfilmpioniere wie Robert William Paul, der schon mit animierten Miniaturmodellen, Doppelbelichtungen und Stop-Motion experimentierte, um fantastische oder gruselige Effekte zu erzielen, und George Albert Smith, der zwischen Zugfahrtszenen in einem Tunnel einen Kuss einschnitt oder in "As Seen Through Telescope" den Voyeurismus der Kinobescuher:innen sichtbar machte, ebenso wie auf die Karrieren und die Popularität von Stars der 1930er Jahre wie Gracie Fields und George Formby.


Alfred Hitchcock wird ebenso gewürdigt wie die Historienfilme von Alexander Korda. Am Beispiel von David Leans "In Which We Serve" (1942) und Carol Reeds "The Way Ahead" (1944) wird Einblick in die Kriegs- und Propagandafilme der 1940er Jahre geboten, denen wiederum die Melodramen des von Michael Balcon gegründeten Gainsborough Studios gegenübergestellt werden.


Der Expansion der Rank Organisation, die durch Erwerb weiterer Studios Hollywood in den 1940er Jahre Paroli bieten konnte, widmet sich Helbig ebenso wie den Shakespearefilmen Laurence Oliviers, Michael Powells "The Red Shoes" (1948), David Leans Dickens-Verfilmungen und etwas ausführlicher Carol Reeds "The Third Man" (1949), der vom British Film Institute immer noch als bester britischer Film aller Zeiten geführt wird.


Nicht fehlen darf mit dem Ealing Studio das älteste noch existierende Studio der Welt, das im Gegensatz zur weitverbreiteten Meinung nicht nur Komödien produzierte und bei dem der Autor den Bogen bis zum 1980er Jahre Hit "A Fish Called Wanda" spannt.


Bei den 1950er Jahren blickt Helbig nicht nur auf die Horrorfilme der Hammer Studios, sondern bietet auch Einblick in die Mechanismen der britischen Zensur, die beispielsweise die Duschszene in Hitchcocks "Psycho" beschnitt. An zumindest im deutschsprachigen Raum wohl längst vergessene Erfolge mit Komödien wie der "Doktor"-Serie oder der Mädchenpensionats-Serie "St. Trinians" wird ebenso erinnert, wie an David Leans von internationalen Großproduktionen gekennzeichnete zweite Schaffensphase und den Aufbruch des britischen Kinos mit der Entdeckung des Alltags der Arbeiterschicht in den Filmen von Tony Richardson, Karel Reisz und Lindsay Anderson, die auch neue natürliche Schauspieler:innen wie Rita Tushingham und Albert Finney entdeckten. Aber auch Dokumentarfilme über Nudistencamps, mit denen man einerseits das Erotikbedürfnis zu befriedigen und andererseits die Zensur zu umgehen versuchte, werden nicht ausgespart.


Den Popmusikfilmen der frühen 1960er Jahre, die vor allem zur Präsentation von Songs dienten, stellt Helbig die experimentellen Beatles-Filme von Richard Lester gegenüber, stellt aber auch Franc Roddams "Quadrophenia" (1979) als Porträt des Konflikts zwischen Mods und Rockern sowie den Kultfilm "The Rocky Horror Picture Show" (1975) vor.


Dem Erfolg der James-Bond-Filme werden ebenso die realistischeren und tristeren Agentenfilme um den von Michael Caine gespielten Agenten Palmer gegenübergestellt wie den Kriegsfilmen der unmittelbaren Nachkriegszeit unheroische Antikriegsfilme wie Joseph Loseys "King and Country" (1964), Stanley Kubricks "Dr. Strangelove" (1964) und Richard Lesters "How I Won the War" (1967).


Den beiden Ausnahmeregisseuren Kubrick und Nicholas Roeg wird ebenso ein eigenes Unterkapitel gewidmet wie der Entwicklung des Krimis von sanften Ermittler:innen wie Miss Marple, Hercule Poirot und Sherlock Holmes zur zensurbedingt erst in den 1970er Jahren einsetzenden Entfesselung des Genres mit harten Gangsterfilmen wie "Get Carter" (1971) und "The Long Good Friday" (1980).


Mit Mary Millington und Diana Dors werden aber auch zwei Stars der Sexwelle vorgestellt, die ab den 1970er Jahren einerseits im Zuge der sexuellen Revolution und andererseits aufgrund der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage der Kinos einsetzte.


Die Bedeutung des 1982 gegründeten TV-Senders Channel 4 für die Renaissance des am Boden liegenden britischen Kinos wird ebenso herausgestrichen, wie die Erfolge der Shakespeare-Filme von Kenneth Branagh und der von Richard Curtis geschriebenen romantischen Komödien wie "Four Weddings and a Funeral" (1993). Der Rückkehr des Sozialrealismus mit Mike Leigh und Ken Loach sowie Stephen Frears und Danny Boyle widmet sich ebenso ein Abschnitt wie dem experimentellen Kino Peter Greenaways und den Erfolgen Ridley Scotts und Alan Parkers.


Bei den Tendenzen ab 2001 blickt Helbig einerseits auf die kommerziellen Erfolge der Harry Potter- und James Bond-Filme, andererseits aber auch ausführlich auf die zahlreichen Monarchiefilme von Shekar Kapurs "Elizabeth" (1998) bis zu Pablo Larrains "Spencer" (2021) sowie die Künstler-Biopics, bei denen der Autor die nun stärkere Betonung der Rolle der Frauen herausstreicht. – Ausgespart bleibt dabei bezeichnenderweise Mike Leighs "Mr. Turner" (2014).


Der "New Realism" wird am Beispiel von Shane Meadows "This is England" (2006) und Andrea Arnolds "Fish Tank" (2009) vorgestellt, während ein Blick auf die Geschichte der Fußballfilme genutzt wird, um am Beispiel von "Billy Elliott" (2000) zu zeigen, wie Geschlechterrollen inzwischen durchbrochen werden.


Vom britisch-asiatischen Kino, für das beispielhaft Gurinder Chadhas "Bend It Like Beckham" (2002) und Danny Boyles "Slumdog Millionaire" (2008) vorgestellt werden, spannt Helbig schließlich den Bogen über die Regisseurinnen Sally Potter ("Orlando", 1992), Phyllida Lloyd ("Mama Mia", 2008;  "The Iron Lady", 2011) und Lynne Ramsay ("Ratcatcher," 1999; "Morvern Callar", 2002) bis zu Christopher Nolan und Michael Winterbottom.


Am Beispiel von Boyles "28 Days Later" (2002) zeigt Helbig auf, wie die Verunsicherung der Jahrtausendwende im Zombiefilm gespiegelt wurde, während in Alex Galands "Ex Machina" (2014) Gefahren von künstlicher Intelligenz thematisiert werden. Diesen düster-apokalyptischen Filmen steht abschließend der Blick auf Judi Dench und Maggie Smith, die erst im Alter mit ihren Rollen in den Bond-Filmen bzw. in "Harry Potter" (2001ff.) und "Downtown Abbey" (2010ff.) zu Stars wurden, sowie zu den Altersrollen von Michael Caine in "The Great Escaper" (2022) und Timothy Spall in "The Last Bus" (2021) gegenüber.


So schmal der nur spärlich bebilderte Band ist, so überzeugend ist sein Aufbau. Treffend wird in den kurzen Kapiteln Einblick in zentrale Tendenzen, Genres und Regisseur:innen des britischen Kinos geboten. Einzelne Filme werden dabei kurz vorgestellt und durch Verweise auf weitere Filme in einen größeren Kontext gestellt.


Tiefschürfende Analysen darf man angesichts der Kürze nicht erwarten, aber es wird ein bestechender Überblick geboten und trotz der Fülle an Informationen wirkt das Buch nie überladen und die Darstellung bleibt immer flüssig und leicht lesbar.


Die Verdichtung erforderte zweifellos Mut zur Lücke und hinnehmen muss man so, dass Joseph Losey nur mit "King and Country" präsent ist, Terence Davies überhaupt nicht vorkommt und Regisseur:innen wie Derek Jarman, Joanna Hogg, Steve McQueen und Jonathan Glazer gerade einmal am Rande erwähnt werden. – Mag dies auch dem Umstand geschuldet sein, dass sich diese Solitäre kaum in eine der geschilderten Entwicklungen oder Schwerpunkte einordnen lassen, so hätte man sich doch zumindest zu Davies, Jarman und McQueen kurze Unterkapitel gewünscht, die es ja auch zu anderen Regisseur:innen gibt.


Abgerundet wird der kompakte Band durch eine Liste von 25 chronologisch geordneten herausragenden oder für eine bestimmte Entwicklung oder ein Genre prototypischen britischen Filme, ein Literaturverzeichnis und ein Personenregister.


 

Jörg Helbig, Der britische Film. Filmgeschichte kompakt, Edition text + kritik, München 2024. 144 S., € 24, ISBN 978-3-96707-993-7

 

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