Ein Arzt macht sich von einem Kutscher abhängig, der für ihn Leichen zwecks Forschung am menschlichen Körper beschafft. – Robert Wises atmosphärisch dichte und hervorragend gespielte Verfilmung einer Kurzgeschichte von Robert Louis Stevenson ist bei Filmjuwelen mit umfangreichem Bonusmaterial auf DVD und Blu-ray erschienen.
In den frühen 1940er Jahren erlebte der amerikanische Horrorfilm nach den klassischen Universal-Produktionen Anfang der 1930er Jahre wie "Frankenstein" (1931), "Dracula" (1931) und "The Mummy" (1932) mit Val Lewtons Low-Budget-Produktionen für RKO einen zweiten Höhepunkt.
Lewton beschränkte sich dabei nicht auf die Produktion, sondern gab meist auch den Stoff vor und arbeitete am Drehbuch mit. Die Regie aber überließ er anderen. So verhalf er auch Robert Wise, der sich als Cutter von "Der Glöckner von Notre Dame" (1939) und den Orson Welles-Filmen "Citizen Kane" (1941) und "Der Glanz des Hauses Amberson" (1942) einen Namen gemacht hatte, zu seinem Regiedebüt.
Wise übernahm zunächst bei "The Curse of the Cat People" (1944) die Regie von Gunther von Fritsch, der wegen Überziehen des Drehplans gefeuert wurde. Der Durchbruch gelang ihm aber ein Jahr später mit der Verfilmung von Robert Louis Stevensons 1884 erschienenen Kurzgeschichte "Der Leichenräuber".
Im Gegensatz zu den von Jacques Tourneur gedrehten Lewton-Produktionen "Cat People" (1942) und "I Walked with a Zombie" (1943) spielt dieser Film nicht in der Gegenwart, sondern im Edinburgh des Jahres 1831. Auch wird im Gegensatz zu den anderen Filmen nicht mit dem Übernatürlichen gespielt, sondern vielmehr wird eine düstere Geschichte von Forscherwahn, Abhängigkeiten und Mord erzählt.
Identifikationsfigur ist der junge Medizinstudent Fettes (Russell Wade), der vom renommierten Arzt McFarlane (Henry Daniell) zum Assistenten gemacht wird. Bald entdeckt Fettes so, dass sich McFarlane vom Kutscher Gray (Boris Karloff) mit Leichen beliefern lässt, um am menschlichen Körper zu forschen. Gray besorgt sich diese Leichen aber nicht nur auf den Friedhöfen, sondern ermordet dafür auch Menschen. Durch seine Dienste hat Gray McFarlane aber in der Hand, während McFarlanes Diener Joseph (Bela Lugosi) aufgrund seines Wissens wiederum Gray zu erpressen versucht.
Das ist zunächst einmal ein – wie üblich bei den Lewton-Produktionen – in 77 Minuten knapp und schnörkellos erzähltes, sorgfältig ausgestattetes und atmosphärisch dichtes Schauerstück. Wie Tourneur in "Cat People" und "I Walked with a Zombie" setzt dabei auch Wise auf Andeutungen und spielt mit der Fantasie des Publikums.
Großartig ist so eine lange Einstellung auf eine nächtliche Straße, auf der sich eine Straßensängerin entfernt, der der Kutscher folgt, bis im Dunkel ihr Gesang abrupt verstummt. Geschickt hat Wise zuvor freilich eine Beziehung des Publikums zu dieser Sängerin aufgebaut, indem er sie mehrfach kurz ins Bild rückte. Keine Unbekannte wird so ermordet, sondern eine Figur, mit der man Mitgefühl entwickelt hat.
Und wie Tourneur arbeiten auch Wise und sein Kameramann Robert De Grasse meisterhaft mit Licht und Schatten, um Spannung zu erzeugen. Zu einer echten Höllenfahrt wird so die finale nächtliche Kutschenfahrt, bei der sich McFarlane in heftigem Sturm von Gray – oder dessen Geist – verfolgt fühlt.
Gleichzeitig besticht dieser Horrorfilm nicht zuletzt dank eines großartigen Boris Karloff in der Rolle des Kutschers Gray auch inhaltlich. Mit dieser diabolischen Figur, die aufgrund seiner Dienste mit McFarlane spielen kann, gelingt es Wise meisterhaft von Abhängigkeiten und Erpressung zu erzählen. Andererseits werden durch die unterschiedlichen Positionen von McFarlane und Fettes Grenzen medizinischer Forschung und ärztliches Ethos verhandelt.
Ambivalent bleibt dabei Fettes, der nicht nur beim Leichendiebstahl mitspielt, sondern auch gegen Grays Morde nicht entschlossen eingreift. Der reinen und skrupellosen Forschung McFarlanes, der in Patienten nur Objekte zu sehen scheint, an denen er sein Können beweisen kann, steht bei Fettes aber echte Anteilnahme für und Sorge um ein gelähmtes Mädchen gegenüber. – Erst diese Verknüpfung von packender Erzählung, sorgfältiger Figurenzeichnung und spannender Problemstellung macht "Der Leichendieb" zu einem zeitlosen Meisterstück des Horrorfilms.
An Sprachversionen bieten die bei Filmjuwelen erschienene DVD und Blu-ray, die auch durch das gestochen scharfe Bild begeistern, neben der englischen Originalfassung, zu der deutsche Untertitel sowie englische Untertitel für Hörgeschädigte zugeschaltet werden können, auch die deutsche Synchronfassung.
Die Extras umfassen neben dem Trailer und einer Bildergalerie einen "Audiokommentar" von Rolf Giesen. Wie in seinen "Audiokommentaren" zu "Cat People" und "I Walked with a Zombie" geht der deutsche Filmwissenschaftler und Filmjournalist auch hier kaum auf konkrete Szenen und den Film an sich ein, sondern bietet vor allem Hintergrundinformationen zu Val Lewton und seinen Horrorfilmen, zu Robert Louis Stevenson, den Schauspielern Boris Karloff und Bela Lugosi sowie zum Regisseur Robert Wise. Zweifellos interessant und informativ ist das, doch völlig unabhängig davon läuft gleichzeitig der Film ab.
Weiters gibt es als Extras ein zwölfminütiges, deutsch untertiteltes Feature über die Stärken von "Der Leichendieb" sowie eine rund 50-minütige, ebenfalls deutsch untertitelte Dokumentation über Val Lewton, in der Filmhistoriker ebenso wie Fans wie William Friedkin, Joe Dante und Guillermo del Toro zu Wort kommen und mit vielen Ausschnitten ein anschaulicher Eindruck von den Qualitäten von Lewtons Horrorfilmen vermittelt wird. Etwas seltsam ist allerdings, dass dabei die Bedeutung von Regisseuren wie Jacques Tourneur oder Robert Wise unberücksichtigt bleibt. Dazu kommt ein Booklet von Roland Mörchen, der Hintergrundinformationen liefert und ausführlich "Der Leichendieb" analysiert.
Trailer zu "Der Leichendieb - The Body Snatcher"
Commentaires