Bildstark und mit Starbesetzung, aber auch sehr bieder hat Christian Schwochow Siegfried Lenz´ 1968 erschienenen Roman über Schuld und Pflicht in der Zeit des Nationalsozialismus verfilmt. Problematisch bleibt die Figur des Malers, den Lenz nach dem Vorbild des überzeugten Nationalsozialisten Emil Nolde gestaltete.
Siegfried Lenz´ „Deutschstunde“ gehört zu den Klassikern der deutschen Nachkriegsliteratur, dennoch wurde dieser Roman bislang nie fürs Kino adaptiert, nur 1971 als Zweiteiler fürs Fernsehen verfilmt. Zentrales Thema ist die Frage von Pflicht, Schuld und Verantwortung des Einzelnen zur Zeit des Nationalsozialismus.
Im Nachkriegsdeutschland soll der 17-jährige Siggi Jepsen in einem Jugendgefängnis einen Aufsatz zum Thema „Die Freuden der Pflicht“ schreiben. So viel fällt ihm dazu aber ein, dass er keinen Anfang findet, ein leeres Heft abgibt und am nächsten Tag allein in seiner Zelle die Aufgabe nachholen muss. – Nun kann er gar nicht mehr aufhören zu schreiben, holt zur großen Rückschau auf eine zentrale Zeit in seinem noch kurzen Leben aus.
Mit einem Blick aus dem vergitterten Fenster setzt somit eine Rückblende ein, die, abgesehen von zwei kurzen Unterbrechungen, den ganzen Film umspannt. Als Elfjähriger stand Siggi während des Zweiten Weltkriegs in seiner Heimat an der Nordseeküste zwischen seinem Vater, der Polizist war (Ulrich Noethen), und dem expressionistischen Maler Max Ludwig Nansen, der mit Malverbot belegt wurde (Tobias Moretti).
In ihrer Jugend waren Siggis Vater und der Maler Freunde, doch nun erfüllt er als Polizist penibel seine Pflicht, fordert Siggi sogar auf den Maler, der sein Patenonkel ist, auszuspionieren. Der Maler wiederum will Siggi für das Malen begeistern und auf seine Seite ziehen. Auf wessen Seite Siggi sich somit auch schlägt, entweder den Vater oder den Maler wird er verraten. Schwer belastet ihn dieser Konflikt und wird auch nicht ohne psychischen Folgen für seine weitere Entwicklung bleiben.
Bildstark fängt die Kamera von Frank Lamm die weite Nordseelandschaft mit Dünen und Watt ein. Düster sind zwar diese in dunkle Farben getauchten Bilder, dennoch stellen ihre Weite und auffliegende Möwen einen deutlichen Kontrast zum rigoros die individuelle Freiheit einschränkenden Regime dar. Sinnbild für diese Einengung sind auch die toten Möwen, die Siggi in einem Haus findet, dessen Bewohner entweder emigriert sind oder deportiert wurden.
Dichte gewinnt „Deutschstunde“ dabei auch durch die Konzentration auf diesen Küstenstreifen. Der Weltkrieg und die Stimmung im restlichen Deutschland bleiben beinahe völlig außen vor, der Fokus liegt ganz auf dem Dreieck von Polizist, Maler und Siggi.
Plastisch, aber auch sehr schematisch arbeitet Schwochow die unterschiedlichen Positionen des Polizisten und des Malers heraus und kann dabei auch auf das starke Spiel von Ulrich Noethen und Tobias Moretti vertrauen. Während Noethen den Polizisten als bedingungslos der Obrigkeit ergeben spielt und ihn dabei auch seinen desertierten ältesten Sohn den Behörden ausliefern lässt, legt Moretti den Maler als frei denkenden und dem Regime und allen von außen vorgegebenen Regeln gegenüber kritisch eingestellten Künstler an. Ambivalenzen und Selbstzweifel gibt es bei diesen Figuren freilich keine, die Grenzen sind klar gezogen.
So überzeugend das aber auch gespielt ist und so stark die Bilder sind, so fehlt es insgesamt der Inszenierung doch an Verve und Leidenschaft. Brav bebildert Schwochow den Roman und arbeitet auch treffend die zentralen Themen heraus, lässt aber in der behäbigen Inszenierung einen eigenständigen und entschlossenen Zugriff auf das Thema vermissen.
Wirklich problematisch bleibt aber die Darstellung des Malers Nansen, den Lenz in seinem Roman nach dem Vorbild Emil Noldes gestaltete, während sich Schwochow beim Film von Nolde distanzieren will, weil es in „Deutschstunde“ nicht um diesen Maler gehe. Das Problem besteht darin, dass der Maler in Buch und Film als Freidenker und Regimegegner gezeichnet wird, Nolde aber bis zum Kriegsende überzeugter Nationalsozialist, Antisemit und Bewunderer Adolf Hitlers war.
Geschickt hat er nach dem Krieg diese Vergangenheit vertuscht und seine Biographie geschönt. Während Lenz 1968 über Noldes wahre Vergangenheit womöglich noch nicht Bescheid wusste, ist Schwochow sich dieser nur allzu bewusst. Mit der Distanzierung vom Vorbild Nolde in Aussagen und Presseheft macht es sich der Regisseur ziemlich einfach, andererseits lässt der Roman von der Anlage her kaum ein anderes Bild des Malers zu.
Läuft derzeit im Cinema Dornbirn und im Feldkircher Kino Rio. - Ab 7. November in den Schweizer Kinos
Trailer zu "Deutschstunde"
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