Mit der Verleihung der Großen Diagonalepreise des Landes Steiermark für den besten Spielfilm an Tizza Covis und Rainer Frimmels "Vera" und für den besten Dokumentarfilm an Chris Krikellis für "Souls of a River" sowie zahlreicher weiterer Preise ging die heurige Diagonale zu Ende. Das österreichische Kino präsentierte sich insgesamt stark mit einer guten Mischung von renommierten Regisseuren und Newcomern, Arthouse-Kino und Genrefilmen.
Nach "Babooska" 2006 und "Aufzeichnungen aus der Unterwelt" 2021 für den besten Dokumentarfilm und für "La Pivellina" 2010 und "Der Glanz des Tages" 2013 wurden Tizza Covi und Rainer Frimmel nun schon zum fünften Mal mit dem Hauptpreis der Diagonale ausgezeichnet. Verdient haben sie diese Auszeichnungen für ihr schon in den Kinos gelaufenes, simpel "Vera" betiteltes semidokumentarisches Porträt von Vera Gemma, der Tochter des Italo-Western Stars Giuliano Gemma sicherlich, aber auch andere Filme wie Marie Kreutzers "Corsage" hätten sich für diese Auszeichnung angeboten.
Wenig bekannt ist dagegen Chris Krikellis, der im Dokumentarfilmbereich mit seinem meditativen "Souls of a River" den Hauptpreis davontrug. Krikellis begleitet darin einen Pathologen, der am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros, die Körper von Geflüchteten untersucht, die bei der Flussüberquerung ertranken. Durchsetzen konnte sich "Souls of a River" dabei gegen so starke Konkurrenten wie Nikolaus Geyrhalters bildmächtigen "Matter out of Place" oder Claudia Müllers "Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen".
Auch abseits der Preisträger (komplette Liste finden Sie hier) bot die heurige Diagonale mit einer Mischung aus neuen Filmen von renommierten Regisseuren wie Kreutzer, Covi/Frimmel, Seidl, Geyrhalter und Filmen jüngerer Talenten wie Adrian Goigingers "Der Fuchs" ein starkes und vielfältiges Programm.
Neben den schon vorgestellten Filmen (siehe hier und hier) konnte man dabei auch weitere Entdeckungen machen. Als vielversprechendes Talent präsentierte sich so der 29-jährige Özgur Anil, der gegen die Usancen mit "Wer wir einmal sein wollten" als Abschlussfilm für sein Studium an der Wiener Filmakademie einen Langfilm drehte. Im Mittelpunkt steht die junge Anna, die einst einmal Schauspielerin werden wollte, nun aber als Sekretärin und Gehilfin des Portiers in einer Schauspielschule arbeitet und nebenher versucht die Matura zu machen, um danach Jus zu studieren.
Man spürt im Blick auf die Schauspielschule, an der ein Student, der mit Anna eine Beziehung hat, als Abschlussprojekt Ibsens "Die Geister" inszeniert, dass Anil das Milieu genau kennt. Leichthändig verknüpft er diese Ebene mit Annas Privatleben, das in Bewegung kommt, als ihr Bruder, der sich vor jeder Arbeit zu drücken versucht und ständig in Geldnot ist, bei ihr einzieht und sie um finanzielle Unterstützung bittet.
Der Zwiespalt zwischen Streben nach Unabhängigkeit und Gedanken an die familiäre Verpflichtung belastet sie zunehmend und auch ihr Freund, der die Beziehung nicht allzu ernst nimmt und vor allem an sein anstehendes Engagement an einem Münchner Theater denkt, ist keine Stütze.
Unaufgeregt und weitgehend ohne dramatische Zuspitzungen ist das inszeniert und überzeugt durch die jugendlich frischen und natürlichen Schauspieler:innen ebenso wie durch die souveräne Einbettung Annas in ihr Umfeld von Familie, Schauspielschule und Jugendfreund. – Nie sieht man diesem Debüt an, dass das Budget nur 70.000 Euro betrug und die gesamte Crew ohne Gage mitwirkte.
Auch die Mischung von Arthouse-Filmen und Genrekino tut dem österreichischen Kino gut. Für Letzteres steht beispielsweise Leni Lauritschs bildmächtiger Science-Fiction-Film "Rubikon", der schon letzten Herbst in den Kinos lief, aber auch das Horrorgenre erfreut sich in der Alpenrepublik großer Beliebtheit wie Peter Hengls "Family Dinner" und Achmed Abdel-Salams "Heimsuchung" zeigen.
Ganz zu überzeugen vermochte Abdel-Salams Mix aus Psychodrama und Horrorfilm zwar nicht, denn allzu sehr in ausgetretenen Bahnen bewegt sich doch diese Geschichte um eine Mutter einer etwa sechsjährigen Tochter, die von traumatischen Erinnerungen an ihre durch Suizid verstorbene Mutter eingeholt wird. Das Sounddesign sorgt zwar immer wieder für beunruhigende Momente, doch es fehlt an konsequenter Spannungssteigerung und aufregender visueller Gestaltung.
Während Dieter Berner, der sich mit "Alma & Oskar" nach "Egon Schiele: Tod und Mädchen" (2016) mit der Nachzeichnung der leidenschaftlichen, aber toxischen Beziehung zwischen Alma Mahler und Oskar Kokoschka zum zweiten Mal der Wiener Moderne widmete, solides, aber auch sehr biederes Ausstattungskino über eine unabhängige Frau bietet, geht Petra Zöpnek in ihrer "Wo ist Ida?" betitelten Hommage an die frühe Wiener Weltreisende Ida Pfeiffer (1797 – 1858) filmisch ungleich aufregendere und verspieltere Wege.
Statt auf Reenactment vertraut Zöpnek als Basis auf die Reiseschilderungen Pfeiffers, die aus dem Off verlesen und durch Zwischentitel ergänzt werden. Auf jeden Dialog wird dagegen verzichtet und Zöpnek konzentriert sich auch ganz auf die Reisetätigkeit der abenteuerlustigen Wienerin, die 1842 mit einer Israelreise einsetzte.
Historisch gekleidet ist die Protagonistin dabei in dem Schwarzweißfilm, trägt aber eine moderne poppige Sonnenbrille und die Kulisse Wiens ist ebenso heutig wie Autoverkehr und Straßenbahn. Realfilm und animierte Szenen werden dabei gemischt und anachronistisch sind Mitte des 19. Jahrhunderts auch die Eisenbahnfahrt von Wien nach Skandinavien oder ein Flug mit Propellermaschine über Island.
An historischer Exaktheit ist Zöpnek folglich nicht inszeniert, sondern vielmehr feiert sie mit verspielter Erzählweise und Augenzwinkern eine Frau, die nicht nur zwei Weltreisen unternahm, sondern auch als erste Europäerin das Innere Borneos durchquerte, Interesse für Pflanzen und Tierpräparation entwickelte und mit ihren Reiseberichten in mehrere Sprachen übersetzte Bestseller landete.
So entreißt der mit Einfallsreichtum und spürbarer Liebe sowohl zum Detail als auch zur Protagonistin gestaltete Film eine Frau dem Vergessen, die nach ihrem Tod zwar auf dem Wiener Friedhof St. Marx begraben wurde, 1892 aber auf Betreiben des Wiener Frauenvereins als erste Frau ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof erhielt.
Spaß bereitete aber auch Sebastian Brauneis´ Satire "Die Vermieterin". Parallel erzählt Brauneis, der seinen Film wie Özgur Anil "Wer wir einmal sein wollten" praktisch ohne Budget realisierte, darin von der Schauspielerin Johanna, die eine Wohnung mietet, und ihrer Vermieterin, die mit Hilfe eines Immobilienmaklers und eines Anwalts die junge Frau nach Strich und Faden ausnehmen will.
Man spürt in jeder Szene das Vergnügen, mit dem das ganze Team bei der Sache war, und herrlich unbekümmert ist die Erzählweise. So meldet sich bald eine Off-Erzählerin zu Wort, dann werden wieder Animationsszenen eingefügt und Reminiszenzen an die Nouvelle Vague fehlen so wenig wie Archivbilder von Hausbesetzungen. So realistisch das Thema Mietwohnungen ist, so überdreht ist die Inszenierung, aber mit seinem Einfallsreichtum bereitet diese Satire großes Vergnügen, auch wenn manche Szenen wie ein Wohnzimmerkonzert mit Voodoo Jürgens allzu sehr in die Länge gezogen wird. – Gespannt darf man auf jeden Fall auf weitere Filme von Brauneis sein.
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