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AutorenbildWalter Gasperi

Diagonale ´24: Hauptpreise für "Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin" und "Anqa"

Mit dem Großen Diagonale-Preis des Landes Steiermark für Martha Mechows Spielfilm "Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin" und für Helin Çeliks Dokumentarfilm "Anqa" zeichneten die Jurys innovative und fordernde Werke mit den Hauptpreisen aus. Aber auch abseits der prämierten Filme gab es in Graz wieder viel zu entdecken.


Mit Martha Mechows schon im Rahmen der Viennale-Berichterstattung vorgestelltem "Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin" entschied sich die Jury für ein verspielt-poetisches Spielfilmdebüt, das vor Einfallsreichtum sprüht, in seiner assoziativen Erzählweise aber teilweise auch verwirrend und anstrengend ist.


Auf ganz andere Weise radikal und experimentell ist Helin Çeliks als bester Dokumentarfilm ausgezeichneter "Anqa", der ebenfalls schon im Rahmen der Viennale vorgestellt wurde. Vorwiegend in Close-Ups, die nur selten einen Überblick gewähren, aber jede Warze und jede Hautpore sichtbar machen, lässt die in Österreich lebende Kurdin darin drei anonym bleibende jordanische Frauen teils im Voice-over, teils in bruchstückhaften Interviews von ihren Erfahrungen häuslicher Gewalt und Traumatisierung, aber auch von ihrer Auflehnung erzählen. – Die Liste aller Preisträger:innen finden Sie hier.


Leichter zugänglich ist da schon "Stillstand", in dem Nikolaus Geyrhalter in den für ihn typischen statischen Einstellungen die Zeit der Corona-Pandemie vom Beginn des ersten Lockdowns bis zur Corona-Impfung nachzeichnet. Von Home-Schooling, Balkonkonzert, Teststraßen und Blicke ins Krankenhaus über immer wieder leere Straßen, Plätze und Flughafen bis zu den Demonstrationen der Corona-Leugner spannt der Dokumentarfilmer dabei den Bogen.


Auf jeden Kommentar verzichtet Geyrhalter wie gewohnt, lässt aber Ärzt:innen ebenso wie eine Lehrerin, ein Blumenhändlerpaar oder den Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker die Ereignisse kommentieren. Zweifellos ein wichtiges Zeitdokument ist so entstanden, derzeit sind aber die Bilder doch noch zu präsent, als dass sie über die Länge von 137 Minuten wirklich packen könnten.


Am Puls der Zeit sind auch die Dokumentarfilme "24 Stunden" von Harald Friedl und "Mâine Mă Duc – Tomorrow I Leave" von Maria Lisa Pichler und Lukas Schöffel. Beide Filme widmen sich der Thematik der osteuropäischen Pfleger:innen. Während Pichler / Schöffel auf den Aufenthalt der Protagonistin in ihrer rumänischen Heimat fokussieren, die bedrückenden Lebensverhältnisse und die Zerrissenheit zwischen Familie und Arbeit in der Fremde dokumentieren, konzentriert sich Friedl fast ausschließlich auf den Alltag einer Pflegerin bei ihrer bettlägerigen 86-jährigen Patientin in Niederösterreich.


In der ebenso geduldigen wie genauen Schilderung dieses monotonen Alltags, der von liebevoller Fürsorge um die Greisin und Hausarbeit bestimmt ist und in dem einzig wenige Telefonaten mit der Familie oder einer Freundin für Abwechslung sorgen, macht Friedl nicht nur die Isolation dieser Pflegekräfte erfahrbar, sondern schenkt ihnen auch eine Aufmerksamkeit, die sie sonst nie bekommen.


Mit Bildern von einer Protestaktion der Pfleger:innen für bessere Bezahlung und soziale Absicherung, die sich auch in "Mâine Mă Duc – Tomorrow I Leave" finden, gehen dabei beide Filme über die bloße Schilderung des Status quo hinaus und ergreifen Partei für eine Veränderung der Lage dieser Arbeitskräfte, die während der Corona-Pandemie kurz als Held:innen des Alltags gefeiert wurden, um dann auch wieder vergessen zu werden.


Ein leichthändiges, sehr selbstironisches Mockumentary legte dagegen Christoph Schwarz mit "Sparschwein" vor. Für das neue ORF-Format "Streikjahre" will der Filmemacher darin seinen eigenen einjährigen Geldstreik mit der Kamera begleiten, seine Freunde ohne Bezahlung für sich arbeiten lassen und mit den Förderungen, die er für diesen Film bekommt, für sich und seine Familie ein Haus auf dem Land kaufen.


Fiktion und Realität fließen dabei ineinander, wenn der Protest gegen den Lobau-Tunnel hereinspielt und der Filmemacher sich zunehmend zum Klimaaktivisten wandelt, der sich für die Bebauung eines Kreisverkehrs einsetzt und ein geschenktes Cabriolet zum Gemüsebeet umbaut. So verspielt dieser Film so an der Oberfläche daherkommt, so entschieden ist doch im Kern das Engagement für ein Umdenken bei der Stadtplanung, für Klima- und Umweltschutz.


So präsentierte sich das österreichische Kino in Graz wieder erfreulich vielfältig und neben arrivierten Filmemacher:innen von Veronika Franz und Severin Fiala ("Des Teufels Bad") bis Nikolaus Geyrhalter gab es auch wieder Debütant:innen wie Christoph Schwarz oder Kat Rohrer und ihre RomCom "What a Feeling" zu entdecken, von denen man in Zukunft hoffentlich ebenso wie von den Preisträgerinnen noch Einiges hören wird.


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