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Diagonale ´25: Feinfühlige Eltern-Kind-Geschichten

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi
Einfühlsame Spielfilme: "Happy" von Sandeep Kumar und "Wenn du Angst hast, nimmst du das Herz in den Mund und lächelst" von Marie Luise Lehner
Einfühlsame Spielfilme: "Happy" von Sandeep Kumar und "Wenn du Angst hast, nimmst du das Herz in den Mund und lächelst" von Marie Luise Lehner

In Sandeep Kumars Spielfilm "Happy" kämpft ein indischer Flüchtling verzweifelt um eine Aufenthaltsgenehmigung in Österreich, um nicht von seiner neunjährigen Tochter getrennt zu werden. Maria Luise Lehner erzählt dagegen in ihrem Langfilmdebüt "Wenn du Angst hast, nimmst du das Herz in den Mund und lächelst" feinfühlig und unaufgeregt von der innigen Beziehung zwischen einer gehörlosen Mutter und ihrer 12-jährigen Tochter, von Coming-of-Age und sozialem Gefälle.


In einer einzigen mehrminütigen Nahaufnahme auf dem Inder Happy filmt der in Indien geborene und seit über 20 Jahren in Österreich lebende Sandeep Kumar die Befragung durch einen Beamten, der dem Flüchtling mitteilt, dass sein Asylantrag, obwohl er schon rund zehn Jahre in Europa lebt, abgelehnt wurde und er nun abgeschoben werden soll. Unsichtbar bleibt lange der Beamte, bis schließlich die Kamera langsam zurückfährt und sich der Blick auf den Fragenden und seinen Computer weitet.


Intensiv und stilistisch einprägsam ist dieser Auftakt, doch danach wird Kumar zwar bewegend, aber auch sehr geradlinig und bieder seine Geschichte erzählen. Geradezu klassisch buchstabiert er die Situation Happys, dessen Name in scharfer Opposition zu seinem Alltag steht, durch.


Triebfeder in Happys Handeln ist seine neunjährige Tochter Maya. Aufgrund einer österreichischen Mutter, die aber verstorben ist, hat das Mädchen im Gegensatz zu Happy eine Aufenthaltsgenehmigung. Auf keinen Fall möchte Happy von dem Mädchen getrennt werden, das in einem Heim lebt und das er regelmäßig besucht.


Er selbst lebt in einer Männer-WG von Flüchtlingen, arbeitet zunächst als Zeitungsverkäufer, erwirbt dann ein Moped, um als Essenslieferant mehr zu verdienen, um Mayas Wünsche erfüllen zu können. Sie möchte nämlich nicht nur immer wieder mit ihm Pittu spielen, sondern auch, wie ihre Schulfreundinnen Urlaub in Tirol machen oder schicke rote Schuhe bekommen.


Anschaulich zeigt Kumar, wie die reiche Umwelt das Mädchen indirekt unter Druck setzt und es sich für seinen Vater schämt. Vor allem aber ermöglicht das sorgfältig inszenierte und stark gespielte Sozialdrama einen Perspektivenwechsel. Aus Sicht des Flüchtlings lässt Kumar auf die österreichische Gesellschaft blicken, vermittelt eindringlich nicht nur die Unmenschlichkeit behördlicher Beschlüsse, sondern auch den unwürdigen Umgang der Einheimischen mit den ums Überleben kämpfenden Essenslieferanten, wenn diese wegen jeder Kleinigkeit kritisiert und schikaniert werden.


Mag "Happy" auch zu wenig dicht im sozialen Milieu verankert sein und in seiner gleichförmigen Erzählweise nie die Durchschlagskraft des inhaltlich ähnlich angelegten, pulsierenden "Souleymanes Geschichte" erreichen, so bewegt das Schicksal dieses Flüchtlings doch und lässt vielleicht mit anderen Augen auf Asylant:innen, die vielfach auch von traumatischen Fluchterfahrungen verfolgt werden, blicken.


Wie die neunjährige Maya kämpft auch die zwölfjährige Anna in Maria Luise Lehners Langfilmdebüt "Wenn du Angst hast, nimmst du das Herz in den Mund und lächelst" um Zugehörigkeit zu einem Milieu, das sich ihre gehörlose Mutter im Grunde nicht leisten kann.


Von der Mittelschule wird das Mädchen auf ein vornehmes Wiener Gymnasium versetzt, doch im bürgerlichen Milieu, in dem die Mitschüler:innen schicke Kleider tragen, ist Anna eine Außenseiterin.


Wie Maya in "Happy" schämt auch sie sich mehrfach für ihre Mutter, mit der sie in der kleinen Wohnung zunächst noch gemeinsam im Doppelbett schläft. Sie leiht sich bei einer Nachbarin Kleider aus, um dazuzugehören, doch zur Geburtstagsfeier einer Mitschülerin kann sie im Gegensatz zu den anderen Gästen kein teures materielles Geschenk bringen, sondern schenkt "nur" eine eigene Zeichnung und auch an der Skiwoche kann sie aufgrund von Geldknappheit nicht teilnehmen.


Unaufgeregt, aber mit feinfühligem, quasidokumentarischem Blick und unterstützt von einem großartigen Ensemble erzählt Lehner diese Geschichte. Sie dramatisiert nicht, sondern mäandert zwischen unterschiedlichen Themen von erster Schwärmerei für oder Liebe zu einem Jungen, Mädchenfreundschaft und vor allem der Mutterbeziehung, die durch die Ansprüche des bürgerlichen Milieus immer wieder belastet wird.


Unaufdringlich wird dabei auch eine Entwicklungsgeschichte erzählt, bei der Anna langsam lernt sich zu ihrem Milieu und ihrer Mutter zu bekennen. Ohne zu dozieren wird so das Anderssein und das Bekenntnis zur eigenen Persönlichkeit gefeiert, das beiläufig auch mit mehreren queeren Figuren einfließt, gefeiert. Aufgesetzt wirkt zwar, wie am Ende das Plädoyer für die Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper und für Diversität mit einem Song betont wird, obwohl das doch schon zuvor plastisch und überzeugend aus der Handlung heraus entwickelt wurde, aber dennoch überzeugt dieses Debüt durch seine Feinfühligkeit und Authentizität.


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