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  • AutorenbildWalter Gasperi

Die guten Jahre

Reiner Riedler begleitet mit der Kamera den Fotografen Michael Appelt, der wieder in sein Elternhaus zieht, um seine an beginnender Demenz erkrankende Mutter zu betreuen: Ein sehr intimer und leiser Dokumentarfilm, der nicht nur von einer innigen Mutter-Sohn-Beziehung erzählt, sondern in der ruhigen und kommentarlosen Beobachtung auch über Altern und Vergänglichkeit reflektiert.


Auf Hintergrundinformationen mittels Kommentars oder Inserts verzichtet Reiner Riedler in seinem Dokumentarfilm. Mitten hinein wirft er die Zuschauer:innen, wenn Freunde dem Fotografen Michael Appelt helfen, sein Bett, Fotos oder einen Spiegel aus einem Kastenwagen in das in der niederösterreichischen Provinz in einer ruhigen Wohngegend gelegene Elternhaus zu tragen.


Um seine Mutter zu betreuen, zieht der Mittfünfziger wieder in seinem einstigen Kinderzimmer ein, in dem Poster von Elvis Presley, "Apocalyspe Now" und ehemaligen österreichischen Fußballstars an die späten 1970er Jahre erinnern.


Dass die Mutter an beginnender Demenz leidet, wird zunächst aber weder thematisiert noch merkt man es als Außenstehender sofort. Denn angeregt spricht sie beim Pfarrkaffee mit ihren Freundinnen über ihre beiden Kinder. Andererseits deuten ein Sturz aus ihrem Bett nach einem intensiven Traum, die Fertiggerichte, die der Sohn für sie zubereiten, und die Tabletten, die er für sie täglich einsortieren muss, doch auf gesundheitliche Probleme hin.


Auch über Michael Appelt erfährt man nur beiläufig, dass er Fotograf ist. Lange gibt der Film auch nichts preis über die Ursache seiner Narbe auf Nierenhöhe sowie über die große Narbe am Bauch. Nicht wirklich einordnen kann man zunächst auch, wieso er immer wieder schwer atmet und einen Inhalator benötigt oder in einer Szene sich in den Wald zurückzieht, wo er laut schreit und sich dann ins Moos legt.


Erst nach etwa einer Stunde wird er bei einer Radiosendung die Hintergründe aufklären, wenn er von seinem Blinddarmdurchbruch und mehrwöchigem Koma berichtet und erzählt, dass er immer noch an Angstzuständen, Panikattacken und einer schweren Depression leidet.


Auch die Demenzerkrankung seiner Mutter wird erst dann in einem Gespräch mit einer Krankenpflegerin, die zugleich Michaels Ex-Freundin ist, thematisiert. Da betont der Sohn, wie sehr sich ihr Zustand durch das Demenz-Pflaster Rivastigmin verbessert hat, doch wenig später zeigt sich, wie schwer der Alltag für Christine Appelt dennoch ist, wenn sie nicht mehr weiß, wie man Kaffee macht.


So nah der Regisseur auch an seinen beiden Protagonist:innen dran ist und so offen sie ihm Einblick in ihr Leben bieten, so kommt doch nie das Gefühl von Voyeurismus auf. Im feinfühligen Blick Riedlers, der schon seit mehreren Jahrzehnten mit Michael Appelt befreundet ist, spürt man stets seine Empathie.


Konzentriert auf das Haus und auf Mutter und Sohn ist "Die guten Jahre" dabei weniger ein Film über die Herausforderungen der Pflege oder die Studie einer Krankheit, sondern vielmehr einer über eine innige Mutter-Sohn-Beziehung, über Empathie und Fürsorge, aber auch über Erinnerung und Vergänglichkeit. Denn der Gegenwart stellt Riedler mit Super-8-Aufnahmen eines Jahrzehnte zurückliegenden Italienurlaubs, die Michael und Christine sich ansehen, eine Vergangenheit gegenüber, in der er noch ein etwa zehnjähriger Junge war.


Auch bei einem Ausflug zu einem Badesee kontrastiert Riedler die Gegenwart des schwimmenden Protagonisten mit diesen Bildern aus einer längst vergangenen Zeit. Dem zunehmenden Vergessen der Mutter steht so die Erinnerung gegenüber, doch gleichzeitig betont der Film in seiner weitgehenden Fokussierung auf das Hier und Jetzt die Bedeutung der Gegenwart.


Wenn der ebenso empathische wie leise Dokumentarfilm, in dem Musik nur sehr reduziert, aber pointiert eingesetzt wird, Mutter und Sohn bei einem Besuch des Familiengrabs oder bei einem Spaziergang durch die menschenleere Straße begleitet, dann feiert er auch diesen Augenblick, das Auskosten des Moments und des harmonischen Miteinanders, dessen Zeit unweigerlich begrenzt ist.


Aber "Die guten Jahre" erzählt gleichzeitig auch von einem langsamen Neubeginn Michael Appelts. Denn er beginnt auch seine im Keller gelagerten Fotografien zu sichten, kontaktiert einen Kurator und wird mit der Eröffnung einer Ausstellung auch wieder in die Öffentlichkeit treten.



Die guten Jahre

Österreich 2024

Regie: Reiner Riedler

Dokumentarfilm mit: Michael Appelt und Christine Appelt

Länge: 94 min.


Spielboden Dornbirn: Do 12.9., 19.30 Uhr (mit Filmgespräch mit Regisseur Reiner Riedler), Mi 18.9., 19.30 Uhr



Trailer zu "Die guten Jahre"



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