Mala Emde brilliert in Barbara Alberts Bestsellerverfilmung als Frau, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts trotz gesellschaftlicher Beschränkungen an ihrem Traum von einem selbstbestimmten Leben festhält: Sinnliches, aber auch etwas langfädiges Kino.
2007 wurde Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau" mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet und entwickelte sich mit der Übersetzung in 37 Sprachen und dem Verkauf von über einer Million Exemplare zum Bestseller. Ein idealer Stoff für Barbara Albert ist die sich vom Ersten Weltkrieg bis in die 1950er Jahre spannende Geschichte der Halbjüdin Helene (Mala Emde), die schon im Jugendalter von einem Medizinstudium und einem selbstbestimmten Leben träumt, aber immer wieder in ihren Handlungen eingeschränkt wird.
Von ihrem Langfilmdebüt "Nordrand" (1999) bis zum historischen Film "Licht" (2017) hat die 1970 geborene Wienerin nämlich mehrfach Frauen ins Zentrum gestellt, die sich trotz erschwerter Bedingungen durchkämpfen und ihren Weg gehen. So episch breit angelegt wie "Die Mittagsfrau", bei dem schon das Plakat die Entschlossenheit der Protagonistin vermittelt, war aber noch keiner ihrer Filme.
Ausgehend von einer Fahrt in den 1950er Jahren durch ein leuchtend gelbes Weizenfeld zu einem Bauernhof erzählt Albert retrospektiv die Geschichte. Bei Ankunft auf einem Hof erklärt Helene (Mala Emde) dem Bauern mit der slawischen Sage von der Mittagsfrau, die vorwiegend während der Ernte in der Mittagshitze erscheine und den Menschen den Verstand raube, wenn sie ihr keine Geschichte erzählen sollten, den Titel des Films. - Diese Sage erinnert wiederum an den griechischen Mythos vom Waldgott Pan, der ebenfalls mit seinem plötzlichen Erscheinen während der Mittagsruhe unter Hirten und Herden die sprichwörtliche panische Angst oder Panik verbreitete.
Gewisse Spannung baut dieser Einstieg auf, wirft er doch die Frage auf, was Helene auf diesem Bauernhof will, doch insgesamt wirkt dieser Erzählrahmen, an den während des Films nur noch einmal mit einem Schnitt auf den Bauernhof erinnert wird, überflüssig. Ganz ohne Voice-over erzählt sich im Folgenden nämlich Helenes Geschichte.
Mit grobkörnigen Bildern im Super-8-Look evoziert Albert die Jugend Helenes und ihrer Schwester Martha im ländlichen Bautzen in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. Belastet ist diese Zeit durch die psychisch angeschlagene Mutter, die durch die familiären Verluste während des Krieges schwer traumatisiert ist. Sie steht den Freiheitswünschen und den Studienträumen ihrer Töchter ablehnend gegenüber, sodass diese bald zu einer Tante ins pulsierende Berlin der 1920er Jahre fliehen.
Wie Albert mit lichtdurchfluteten und teilweise sehr nahen Einstellungen die sinnliche Stimmung des Landlebens beschwört, so vermittelt sie auch später immer wieder mit grobkörnigen und sehr nahen Aufnahmen die Gefühle und Gedanken Helenes. Gestochen scharfe Breitwandbilder sorgen dagegen für die objektive Perspektive und Außensicht, aus der der Film erzählt ist.
Wechselnde Stimmung bringen aber auch das Spiel mit Filmformaten sowie die Licht- und Farbdramaturgie zum Ausdruck. Während das Breitwandformat nämlich ein Gefühl der Freiheit vermittelt, erzeugen später Szenen im 4:3 Format eine beklemmende Enge, an der Helene fast zu zerbrechen droht. Und auch dem in kräftige Farben getauchten und von Musik und Tanz bestimmten prallen Leben im Berlin der 1920er Jahre stehen später in der NS-Zeit von kaltem Licht und Farben und kahlen Räumen bestimmte Momente gegenüber.
Leidenschaftlich stürzen sich Helene und Martha (Liliane Amuat) zunächst ins Großstadtleben und Albert beschwört mit Partys und gleichgeschlechtlichen Beziehungen eine Stimmung der nahezu absoluten Freiheit. Während sich Martha aber zunehmend in Drogen verliert, hält Helene an ihrem Traum vom Medizinstudium fest und versucht mit einer Stelle in einer Apotheke Geld zu verdienen, um den Schulabschluss finanzieren zu können.
Auch eine leidenschaftliche Liebe zum Literaturstudenten Karl (Thomas Prenn) entwickelt sich, doch diese endet mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus tragisch und auch das Leben der Halbjüdin selbst ist zunehmend bedroht. Sicherheit verschafft ihr der SS-Offizier Wilhelm (Max von Groeben), der sich in sie verliebt und ihr einen gefälschten Arierpass verschafft. Als sie ihn im Gegenzug dafür heiratet, wird sie aber bald mit seinem reaktionären Welt- und Frauenbild konfrontiert, durch das ihre Freiheit radikal eingeschränkt wird.
Eindrücklich, wenn auch etwas platt und klischeehaft werden so im Kontrast von Weimarer Zeit und NS-Zeit ebenso wie in dem von Karl und ihrem Ehemann Wilhelm die gesellschaftlichen Gegensätze, aber auch das Spannungsfeld von Freiheit und beklemmender Einengung spürbar.
Zusammengehalten wird die breit gespannte Handlung, bei der vieles nur kurz angeschnitten wird, dabei durch die mit Leidenschaft spielende Mala Emde. Vielschichtig verkörpert sie Helene, macht deren Sehnsüchte und Träume ebenso wie die Niederschläge intensiv erfahrbar, ist Herz und Zentrum von "Die Mittagsfrau" und trägt dieses Frauendrama.
Ganz auf sie ist der Film konzentriert, bleibt immer nah an ihr dran. Gesellschaftlich-politische Hintergründe und Entwicklungen fließen nur über Helenes Erleben ein, werden aber nie breiter ausformuliert. Auch auf Zeitinserts verzichtet Albert und vertraut darauf, dass die Zuschauer:innen das Geschehen selbst einordnen können.
Dabei kann dieses Drama, das trotz der formalen Eigenwilligkeiten insgesamt konventionelles und lineares Ausstattungskino bietet, die Spannung zwar nicht über die gesamte Länge von mehr als zwei Stunden aufrecht erhalten, doch dank der großartigen Mala Emde berührt dieses Frauenschicksal dennoch.
Die Mittagsfrau Deutschland / Schweiz / Luxemburg 2023 Regie: Barbara Albert mit: Mala Emde, Max von der Groeben, Thomas Prenn, Liliane Amuat, Fabienne Elaine Hollwege, Laura Louisa Garde, Elisabeth Wasserscheid, Helena Pieske Länge: 136 min.
Läuft jetzt in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "Die Mittagsfrau"
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