In Lars Kraumes dialoglastiger, aber dank des hinreißenden Zusammenspiels von Burghart Klaußner und Caroline Peters doch amüsanten Verfilmung von Simon Stephens Theaterstück "Heisenberg" kommen sich ein wortkarger Metzger und eine ständig plappernde Schulsekretärin langsam näher.
Trefflich vermittelt die erste Szene die Insichgekehrtheit des Metzgers Alexander Kirchner (Burghart Klaußner). Wenn der Mittsiebziger mit dem Bus durch Berlin fährt, schaut er zwei sich küssenden Menschen, Obdachlosen, zwei Jongleuren, Tandem- und Scooter-Fahrern auf den Straßen zu oder blickt auf die großen Werbeflächen: Das Leben zieht förmlich an ihm vorbei, er selbst ist davon aber nicht nur durch die Scheibe des Busses getrennt. Auch mit den Ohrstöpseln, über die er Johannes Brahms´ temperamentvollen "Ungarischen Tanz Nr. 5" hört, kapselt er sich quasi von seiner Umwelt ab.
Umso geschockter ist er, als ihn beim Aussteigen eine Frau plötzlich in den Nacken küsst. Wortreich entschuldigt sich diese Greta Brenner (Caroline Peters) und während für ihn die Sache damit erledigt ist und er seine Ruhe will, redet sie ständig weiter auf ihn ein, verfolgt ihn in den nächsten Bus und steht bald auch in seiner schlecht laufenden Metzgerei. Dass freilich auch bei ihm die Begegnung etwas in Bewegung gesetzt hat, deutet schon bald ein Traum vom überraschenden Kuss an.
Weder die Geschichte von zwei völlig gegensätzlichen Charakteren, die sich langsam näher kommen, noch das Thema eines Ausbruchs aus einem festgefahrenen Alltag und einem Aufblühen im Alter ist neu. Dennoch entwickelt Lars Kraumes Verfilmung von Simon Stephens Theaterstück "Heisenberg" einigen Charme.
Auch wenn Kraume das Stück des Briten von London nach Berlin verlegt hat und er das Duo sich in U-Bahn-Stationen, Metzgerei oder Restaurant treffen und entlang der Spree oder durch den Tiergarten spazieren lässt, ist die Herkunft des Films von der Bühne unübersehbar. In ebenso warmen wie kräftigen Farben strahlen zwar die Herbstbilder von Kameramann Jens Harant, doch der Fokus liegt insgesamt ganz auf den beiden ProtagonistInnen.
Wie zuletzt in Sophie Hydes "Good Luck to You, Leo Grande" ("Meine Stunden mit Leo") oder in Emmanuel Mourets "Chronique d'une liaison passagère" ("Tagebuch einer Pariser Affäre") gibt es praktisch keine Nebenfiguren, sondern der Raum wird ganz Caroline Peters und Burghart Klaußner, die diese Rollen schon auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses gespielt haben, überlassen. Kraume, der sich neben "Tatort"-Folgen vor allem mit der Aufarbeitung deutscher Geschichte in "Der Staat gegen Fritz Bauer" (2015), "Das schweigende Klassenzimmer" (2018) und zuletzt "Der vermessene Mensch" (2023) einen Namen gemacht hat, hält sich zurück und strebt nicht danach filmische Akzente zu setzen. Er lässt vielmehr seinen ProtagonistInnen in teils langen statischen Einstellungen, teils in Parallelfahrten Zeit und Raum sich in pointierten Dialogen aneinander zu reiben und sich langsam näherzukommen.
Ganz von ihrem Zusammenspiel lebt "Die Unschärferelation der Liebe", dessen Titel sich auf die Heisenbergsche Unschärferelation bezieht, die auf die Grenzen der Berechenbarkeit der Welt - und in diesem Fall der Liebe - verweist. Locker spielen sich Klaußner und Peters die Bälle zu, genießen sichtlich die Verkörperung dieses ungleichen Duos. Da mag die Geschichte und auch die Figurenkonstellation noch so klischeehaft und die Inszenierung wenig filmisch sein, so folgt man dank der Wärme und Menschlichkeit, die die beiden SchauspielerInnen ihren Figuren verleihen, doch gerne und mit einem Schmunzeln der Handlung.
Da wird der zunächst melancholische Jazz, der den Film begleitet, dann auch zunehmend gelöster und entspannter und Kraume findet auch treffende Bilder für den späten Ausbruch und Neubeginn, wenn der Metzger, der noch nie Berlin verlassen und noch nie Urlaub gemacht hat, nach Zögern in einem Park doch noch auf einen Zug aufspringt oder schließlich sogar zu einer großen Reise aufbricht.
Die Unschärferelation der Liebe Deutschland 2023 Regie: Lars Kraume mit: Caroline Peters, Burghart Klaußner, Carmen-Maja Antoni Länge: 93 min.
Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos und ab 13.7. in den Schweizer Kinos.
Trailer zu "Die Unschärferelation der Liebe"
Comments