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  • AutorenbildWalter Gasperi

Die Zeit nach Mitternacht - After Hours

Klein und wenig bekannt, nichtsdestotrotz großartig: Martin Scorseses schwarze Komödie über die Odyssee eines New Yorker Programmierers durch eine Nacht ist bei Plaion Pictures in einem Mediabook auf DVD und Blu-ray erschienen.


In einer persönlichen Krise steckte Martin Scorsese Anfang der 1980er Jahre. Der Boxerfilm "Raging Bull" (1980) begeisterte zwar die Kritiker, doch der Kassenerfolg war ausgeblieben und die Satire "The King of Comedy" (1982) war ein regelrechter Flop. Dazu wurde sein Lieblings- und Langzeitprojekt "The Temptation of Christ" von Paramount nach Start der Vorproduktion wieder gestoppt.


Als ihm das Drehbuch zu "Die Zeit nach Mitternacht" angeboten wurde, war er sofort interessiert. Hier sah er die Chance mit einem verhältnismäßig kleinen Budget von 4,5 Millionen Dollar in nur 40 Tagen einen Film zu drehen, in dem er einerseits komödiantische Töne anschlagen konnte, andererseits sich mit New York als Schauplatz und einem einsamen Mann als Protagonisten auf vertrautem Terrain bewegen konnte.


Auf eine einzige Nacht und weitgehend auf das New Yorker Viertel Soho, dessen Name einerseits auf das gleichnamige Londoner Viertel anspielt, andererseits ein Akronym von "South of Hudson Street" ist, beschränkt sich der Film. Hierhin verschlägt es den von seiner Arbeit als Programmierer gelangweilten und allein in einer Wohnung in Upper Manhattan lebenden Yuppie Paul (Griffin Dunne), als er eines Abends in einem Diner die junge Marcy (Rosanna Arquette) kennenlernt, die ihm ihre Telefonnummer gibt.


Der Ärger setzt aber schon bei der nächtlichen Taxifahrt nach Soho ein, als Paul aufgrund des wilden Fahrstils seine einzige 20-Dollar-Note aus dem Fenster fliegt. Am Ziel angekommen, verstört ihn Marcys Verhalten ebenso wie ihre Mitbewohnerin (Linda Fiorentino), eine Künstlerin, die an einer Statue im Stil von Edvard Munchs "Der Schrei" arbeitet.


Wenn Marcy freilich von der Vorliebe ihres Ex-Mannes für "The Wizard of Oz" erzählt, weist das schon die Richtung dieser schwarzen Komödie, denn wie Dorothy in diesem Klassiker des amerikanischen Kinos will auch Paul bald nur noch nach Hause. Er wird aber ständig daran gehindert und gerät – im Gegensatz zum legendären Märchenfilm – in diesem kafkaesken Alptraum in zunehmend bedrohlichere Situationen.


Da wird ihm die Heimfahrt mit der U-Bahn verwehrt, weil er den um Mitternacht erhöhten Fahrpreis nicht bezahlen kann, er wird von mehreren Frauen in ihre Wohnungen eingeladen, aus denen er bald zu fliehen versucht, taucht in einen Club ab, in dem ihm fast – eine Reminiszenz an "Taxi Driver" - ein Irokesenschnitt verpasst wird, und wird schließlich von einer Bürgerwehr als vermeintlicher Dieb gejagt.


In allen wie an einer Perlenkette aufgereihten Begegnungen zeichnet Scorsese, der selbst in einem Cameo-Auftritt als Beleuchter im Club zu sehen ist, nicht nur kleine Porträts von einsamen und psychisch angeschlagenen Figuren, die mit ihrer beruflichen und privaten Situation unzufrieden sind, sondern in brillanter Konstruktion führt er die einzelnen Figuren auch immer wieder zusammen und lässt den Film auch in einem herrlichen Kreisschluss enden.


Rhythmisch pendelt der Film zwischen Innenszenen in Wohnungen und Straßenszenen und kehrt immer wieder zu früheren Begegnungen zurück. So zerfällt "Die Zeit nach Mitternacht" nicht in Einzelteile, sondern die einzelnen Episoden werden ebenso fest wie witzig miteinander verknüpft. Dazu kommt die dynamische Kameraarbeit von Michael Ballhaus, die nicht nur für Tempo sorgt, sondern auch atmosphärisch dicht ins nächtliche Soho eintauchen lässt.


Herrlich bissig ist auch der Blick auf den Protagonisten, der mit seinen Erlebnissen dafür büßen muss, dass er es gewagt hat, sein gewohntes Terrain zu verlassen. Wie der biblische Hiob fragt er in einer Szene, in der die Kamera aus göttlicher Perspektive vom Himmel auf den auf der Straße Knieenden hinabblickt, nach seiner Schuld, erhält aber keine Antwort, und wird letztlich nur durch eine ebenso geniale wie aberwitzige Verknüpfung von Zufällen gerettet.


An Sprachversionen verfügen die bei Plaion Pictures in einem Mediabook erschienene DVD und Blu-ray über die englische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie Untertitel in diesen beiden Sprachen. Die Extras umfassen unter dem Titel "Filming for Your Life" ein informatives, deutsch untertiteltes 19-minütiges Making of mit Interviews mit Griffin Dunne, Produzentin Amy Robinson und Editorin Thelma Schoonmaker, sowie ein 20-seitiges Booklet mit einem Text von Stefan Jung, der Hintergründe der Entstehung des Films beleuchtet.


Prunkstück ist aber sicherlich der zwar nur englischsprachige, aber gut verständliche und sehr ausführliche Audiokommentar von Martin Scorsese, der durch Anmerkungen von Griffin Dunne, Amy Robinson, Kameramann Michael Ballhaus und Thelma Schoonmaker ergänzt wird. Auch eine etwa achtminütige Sammlung von entfallenen Szenen, eine Bildergalerie und der Trailer fehlen nicht.


Trailer zu "Die Zeit nach Mitternacht - After Hours"



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